Der Liebessalat
wieder in Kauf nehmen würde. Keine Liebe, keine Lust, kein Sex war mit dem anderen zu vergleichen, aber eine aufgewärmte beziehungsweise wiederaufbereitete und tatsächlich noch einmal hitzig werdende Liebe war ganz besonders unvergleichlich, und Viktor liebte Ira dafür, daß sie sich ab und zu noch lieben ließ, denn das war nicht nur einfach eine große Befriedigung, sondern auch ein Beweis dafür, daß wahre Liebe nicht totzukriegen ist. Er wäre auch bis nach Australien gefahren dafür.
In Dresden hatte Viktor nach einer angenehmen, aber unaufregenden Lesung, zu der Christine aus Erfurt nicht gekommen war, darauf verzichtet, Ira anzurufen. Die letzten beiden Male hatte sie »Nein« gesagt, die Gefahr eines »Na schön« war diesmal groß. Viktor wollte sich nicht verzetteln. Er hätte es seinen frischen Gefühlen Susanne und der Tscherkessin gegenüber unfair gefunden. Nach dem Entschluß, die Reise so keusch zu beenden, wie er sie begonnen hatte, fühlte Viktor sich befreit – und sekundenlang begriff er, daß das ständige Koordinieren seiner Liebesangelegenheiten vor allem eines war: anstrengend.
So war er nun, ohne große Abenteuer erlebt zu haben, nach Zürich zurückgekommen und fühlte sich dabei wohl. Er hätte sich auch wohl gefühlt, wenn ihn die Nasenring-Bettina in die Zugtoilette gelockt und er sich dort mit ihr vergessen hätte oder wenn er die Tscherkessin auf dem durchgewetzten Teppich im Zimmer neben ihrem Mann auf ihren Wunsch hin zur Sklavin gemacht hätte, um wenig später mit Sabine im Frankfurter Hotel einen deutschen Wiedergutmachungsbeischlaf zu absolvieren; wenn er im Hotel in Dresden mit der aus Erfurt angereisten Christine sächsisch gerammelt, sich tags darauf mit Susanne in Köln ausgetobt hätte, um sich dann doch noch für ein paar schöne Stunden nach Amsterdam zu begeben und sich dort mit der diesmal völlig eindeutigen Ira ineinander zu verkrallen. Nach dieser Meisterleistung hätte er sich auch nicht unwohl gefühlt. Die Leistung wäre weniger eine körperliche als eine seelische gewesen, denn er hätte die Regeln der Quarantäne trickreich umschiffen müssen, die da in etwa besagen, daß zwei Mal die Sonne untergehen muß, ehe der Mann ein anderes Weib zu sich auf die Lagerstatt nehmen soll, und dreimal muß die Sonne untergehen, ehe ein Weib sich diese Freiheit herausnehmen soll, denn es war schon immer so, daß Mann und Weib nicht gleich sind, ha ha. Wer aber sich nicht hält an diese Regeln des Anstands, den nennen wir einen promisken Hallodri, wenn es ein Mann ist, und ein Flittchen, wenn es ein Weib ist, und diese müssen sich vorsehen, nicht Schaden zu nehmen an ihrer Seele.
Viktor hätte also die Phasen zwischen den intimen Begegnungen mit den verschiedenen Frauen künstlich ausdehnen müssen. So wie man mit einer bestimmten Software Daten komprimieren kann, um die Übermittlungszeit von Computer zu Computer zu verkürzen, hätte er, wenn er sich Freitag vormittag um elf Uhr von der Langschläferin Susanne nach einer bewegten Nacht auf dem Bahnhof in Köln verabschiedet haben würde, um fünf Stunden später Ira in Amsterdam in die Arme zu schließen, diese wenigen Stunden meditativ verlängern müssen. Bei einiger Übung war das möglich. Man mußte nur schneller denken und noch schneller phantasieren. Wenn man in sechs Stunden acht Mal soviel dachte und phantasierte wie normalerweise, hatte man danach den Eindruck, es seien achtundvierzig Stunden vergangen. Beim Träumen geschah nichts anderes. In weniger als drei Minuten konnte man einen ganzen gemächlichen Roman träumen. Vor allem hätte Viktor die unanständig kurzen Phasen zwischen Bettina und der Tscherkessin und zwischen der Tscherkessin und Sabine dringend verlängern müssen. Prolongieren durch Komprimieren hätte man diese Methode nennen können, die jeder polygame Mensch beherrschen sollte, denn es kann immer der Notfall eintreten, die unerwartete Akkumulation sozusagen, die nur mit der Kunst des Komprimierens und Prolongierens bewältigt werden kann. Nach diesem gelungenen Kunststück als Sieger heimgekehrt, hätten es die Gesetze des Anstands verlangt, nun auch noch der Ehefrau seine Gelüste anzubieten, um die Liebesserie würdig abzuschließen. Nach einer alttestamentarischen Liebesnacht mit Ellen, dem Weibe an seiner Seite, wäre Viktor anderntags vor den Gott der Liebe getreten und hätte also gesprochen: »Herr, ich habe getan, was ich konnte, in fünf Tagen habe ich mit sieben Frauen
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