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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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sich geraten und ausfällig geworden: Wozu schreibe er überhaupt, wozu lese man ihn, wozu komme man hier her? Seit Jahren bemühe er sich um Lösungen, und dieser Dreimal-drei-Tage-Vorschlag, so märchenhaft er klänge, habe doch kein anderes Ziel, als zu zeigen, daß man sich mit dem dreimal verfluchten Besitzdenken nur sein Glück verscherze. Diese unentwegt in den Kirchen und auf den Standesämtern wiederholte Beteuerung von Mann und Frau, einander zu gehören, hätte ein Ehepartner-Besitz-Anspruchsdenken herangezüchtet, das gefährlicher sei als die Genforschung, die Atomenergie und das Ozonloch zusammen. »Mein Mann! Meine Frau!« Ihm werde übel bei diesen Possessivpronomen, durch die nichts als Unheil in die Welt gekommen sei.
    Manchmal war Viktor aufgesprungen und hatte geschrien, ja, er schrie in solchen Fällen, denn das war nun einmal das Thema seines Lebens, und nichts anderes bewegte ihn wirklich. Er schrie und rang die Hände wie ein Finanzminister, der nicht versteht, daß es Parlamentarier gibt, die seine Steuerreform blockieren möchten. »Das geht nicht in meinen Kopf hinein«, schrie er, »Ihr Abstimmungsergebnis beleidigt mich! Sie können nicht meine Leser sein!« Viktor meinte vollkommen ernst, was er da sagte, und das machte seinen Auftritt sehr komisch. Das Publikum brüllte vor Lachen und klatschte, und schließlich lachte auch Viktor mit und setzte sich und sagte »Scheiße!«

    Azamira Jamali, pakistanischer Herkunft, extrem aparte, siebensprachige, wunderbar weltliche Leiterin der Werbeabteilung eines Züricher Verlags, von ihren Freunden Aza genannt, war ein Sonderfall im Leben des Schriftstellers Viktor Goldmann, der von sich behauptete, nur dann frische Sachen zu Papier bringen zu können, wenn er frischverliebt war, und der es auch seiner dritten Ehefrau mit dieser Produktionsbedingung nicht ganz leicht machte. Aza, die kurz in sein Leben getreten und dann wieder verschwunden war, hatte Viktor ohne ihr Zutun einen unerwarteten Nebengewinn vermittelt, über den er sehr glücklich war.
    Aza hatte beteuert, wie sehr sie Viktor als Freund und als amüsanten Briefpartner schätzte, und sie war nicht einmal abgeneigt, seine Künste als Kuppler in Anspruch zu nehmen – ein durchaus konspirativer Vertrauensbeweis. Als Liebhaber aber würde sie ihn niemals akzeptieren. Das hatte sie nicht gesagt, aber das war unmißverständlich. Sie suchte einen Mann fürs Leben. Dieser war Viktor nicht. Er war mit Ellen verheiratet, und wer es wagte, zu fragen, ob die Ehe glücklich sei, bekam die faunischste Grimasse zu sehen, die Viktor parat hatte. »Das Glück besteht darin«, sagte er dann, »daß es Wünsche offen läßt.« Wer mehr wissen wollte, wurde belehrt, daß Viktor vom wunschlosen Glück so wenig hielt wie vom wunschlosen Unglück. »Wunschlosigkeit ist die Hölle!« Selbst zu diesem Ausruf konnte er sich hinreißen lassen, über den jeder Buddhist den Kopf geschüttelte hätte, der doch das Glück auf Erden darin sieht, daß man endlich nicht mehr begehrt. Viktor und Ellen kannten viele verschiedene Menschen, aber sie kannten keine Buddhisten. So lächelten die Freunde bei derartigen Bekenntnissen Viktors und werteten sie als eine Art dichterische Freiheit.
    Viktor konnte Monate, vielleicht auch Jahre lang für gewisse Frauen schwärmen, wenn Hoffnung auf einen erotischen Gewinn bestand – und waren die Gewinnchancen auch noch so klein. Es ging dabei nicht um Sex, nicht um den primitiven Penetrationstriumph. Es war subtiler. Es ging darum, ob eine Vision aufrechtzuerhalten war: die Vision, irgendwann vor Eintritt des Greisenalters seine Wangenpartie eine Weile sanft an die Wangenpartie der so innig begehrten Frau zu schmiegen. Wenigstens das: dastehen und sich umarmen, tief und ruhig atmen und vielleicht nur erotische Versäumnisse bereuen. Oder miteinander ins Bett gehen wollen. Wollen. Der gemeinsame Wunsch war schon eine ganze Menge. Viktor beobachtete sich in solchen Phasen so gut und genau es ging, denn alle Liebesgefühle waren literarisches Kapital. Er notierte: »Aza – ein Blick dieser Frau, in dem ich lesen könnte, daß Sex zwischen uns nicht generell ausgeschlossen ist, nur eine Sekunde dieses Blicks wäre mir mehr als eine Nacht mit Susanne zum Beispiel.«
    Wenn Viktor solche hochromantischen Sätze aufschrieb, hatte er anschließend der Realität gegenüber ein schlechtes Gewissen, und er wurde von realen Liebesaufwallungen ergriffen. In den Aza-Wochen hatte er nach solchen

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