Der Liebessalat
Überlegungen das Gefühl, Susanne mit diesem Gedanken betrogen zu haben. Sofort hatte er Susanne einen Brief geschrieben, auf ein Treffen gedrängt und sich auf sie gestürzt. »Was hast du?« hatte sie lachend gefragt. »Du bist so wirklich«, war Viktors Antwort, und stürmisch hatte er sich in sie gegraben – und Aza schien ihm so keusch, sie war nicht einmal gedanklich mit von der Partie.
Die pakistanische Euphorie damals in den ersten Wochen in Zürich hatte nicht lange gedauert. Aza hatte anfangs geglaubt, einen geistreichen und zuverlässigen Freund gefunden zu haben. Viktor hingegen hoffte eine Weile, sie würde sein Begehren doch noch irgendwann erwidern. Es hätte ihm gereicht, wenn sie auf das von ihm skizzierte Märchen anders reagiert hätte. Seine Verliebtheit wäre nicht verflogen, wenn er mit dieser Frau hätte dasitzen, Wein trinken und sich hätte ausmalen können, wie das wäre, wenn er ihr einen Mann vermittelt hätte, wie genau die Bezahlung in Form von drei mal drei Tagen und Nächten wohl ausgesehen hätte, wo sie sich treffen, wie sie ihm schon bald ihr Herz über die Langweiligkeit ihrer Ehe ausschütten und er sie trösten – und wann er an ihrem Hotelzimmer klopfen würde, mit klopfendem Herzen.
Wunderschön, doch ohne jede Verheißung hatte ihn Aza angelächelt, die großen blanken schwarzen Augen bar jeder erotischen Signale für ihn, als er so auf sie einredete und einschrieb. Es war schlimm genug, nur zu phantasieren, aber wenn, dann mußten beide das tun. Eine Männerphantasie allein, ohne authentisches weibliches Phantasie-Pendant, war nicht lebensfähig – und auch unwürdig. Azas Zauber begann zu verfliegen – und damit verflogen auch Viktors Energien, ihr Herz zu gewinnen. Was er von der schönen Aza über sich selbst gelernt hatte, war, daß er offenbar unfähig war für jene berühmte zwischenmenschliche Beziehung, die allein – zumindest laut Schlagertext – im Gegensatz zur angeblich vergehenden und verwehenden Liebe besteht, auch wenn die ganze Welt zusammenfällt: die Freundschaft.
Aza und Viktor gingen zusammen ins Kino, saßen dicht an dicht und waren sich doch fern. Die Abschiede an Straßenbahnhaltestellen, Parkplätzen, Autotüren und auf dem Fahrrad quälten Viktor. Er litt darunter, daß nicht einmal die klassische Frage wortlos im Raum stand und für Spannung sorgte: »Kommst du noch auf einen Sprung mit hoch?« Seine Briefe wurden kürzer. Anfangs hatte er ihr täglich mehrere lange Botschaften zukommen lassen, bald waren es nur noch wenige paar Zeilen alle paar Tage, und diese Zeilen sprühten nicht mehr. »Magst du mich schon nicht mehr?« fragte Aza an. Eine traurige Zeile. Viktor schrieb:
»Je deutlicher es wird, wie einseitig meine Wünsche sind, desto mehr verliert sie an Zauber und desto mehr verliert sich mein Interesse. Und mit dem Interesse gehen die Visionen von einem Nebenglück dahin und mit den Visionen mein Sprühen. Ich werde langweilig. Wie gern wäre ich mit dieser schönen und interessanten Frau befreundet, aber ich kann es nicht. Wie gern würde ich sie einseitig lieben, nicht einmal das gelingt mir. Ich habe eine Liebeskummerautomatik in mir: Besteht auch nur ein Funken Hoffnung auf Erwiderung erotischer Gefühle, bleibe ich bei der Stange. Sind aber die Gewinnchancen null, bin ich wie tot.«
Das schrieb Viktor an Adrian, seinen Musikerfreund, kopierte den Text in eine Datei, die er »Gewinnchancen in der Liebeslotterie« nannte, und legte sie in einen Ordner, der »Aza authentisch« hieß. Wenn sich diese Notiz nicht wie die meisten in den Weiten der Festplatte verlieren würde, könnte er irgendwann einmal eine fragwürdige Männerfigur mit diesem tristen Gedanken ausstatten.
Doch noch hatte er die kühne Märchenidee nicht ganz aufgegeben, Aza den Mann fürs Leben zu verschaffen und geduldig abzuwarten, bis sich die ersten Lücken im Glück zeigen würden – um dann elegant und bescheiden, ohne auf die Richtigkeit seiner Prophezeiung hinzuweisen, als potentieller Liebhaber und Lückenbüßer diskret in Erscheinung zu treten. Noch bemühte er sich um sie. Manchmal loderte es wieder, wenn er an sie dachte, wenn er sich an ihre Wangen erinnerte, an den breiten Mund mit den langen weißen Zähnen, an das Weiß ihrer Augäpfel, das Schwarz der Iris, die leicht beige getönte Haut – in seiner Vorstellung gelang es Viktor ab und zu, daß ihm Aza einen erotischen Blick zuwarf, und prompt hatte er wieder die Kraft, ihr zu schreiben und
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