Der Liebessalat
tippte, sah er Aza vor sich, und er war betrunken genug, um endlich jene Glut in ihren Augen strahlen zu sehen, die er immer vermißt und für die diese Augen doch geschaffen waren. Sie würde aus London mailen, wie gut ihr seine beiden Bücher gefallen hätten, und daß sie bei ihrem nächsten Kinobesuch nicht so zickig sein werde.
Es war aber keine E-Mail von Aza eingegangen. Viktor starrte auf die unvertraute Adresse neben dem kleinen Briefkuvert-Symbol, merkte, daß er nun auch nicht mehr der Wachste war, speicherte die Mail, wollte das Öffnen und Lesen auf den anderen Tag verschieben, öffnete sie dann aber doch, während er schon begonnen hatte, sich die Zähne zu putzen, »Viktor, mein Lieber«, stand da, und da er nicht wußte, wer ihm da schrieb, ging er zum Ende des langen Briefs: »Antworte bitte sofort, Deine Ira«.
Mit Ira hatte Viktor zu diesem Zeitpunkt kaum Kontakt. Seit etwa einem halben Jahr wohnte sie in Amsterdam, das wußte er. Damals hatte sie eine andere E-Mail-Adresse gehabt. Zunächst war eine vorgedruckte Postkarte mit der Adressenänderung gekommen, und Ellen hatte gesagt: »Ich glaube, deine zweite Ex-Frau will was von dir.« Auf der Karte war auch eine E-Mail-Adresse gewesen, und Viktor hatte rasch reagiert: »Ellen meint, du willst was von mir. Ich fürchte, das ist nicht der Fall.« Dann hatte er seine Verwunderung darüber ausgedrückt, daß sie in Amsterdam wohne und einen Computer benutze. Beides könne er sich nicht vorstellen. Ira hatte kurz geantwortet, sie würde sich nie gemeldet haben, wenn sie nicht in festen Händen wäre, und Viktor hatte sofort einen Reiz verspürt nach Amsterdam zu fahren und Ira mitsamt den Händen ihres rätselhaften schwarzen oder gelben oder weißen Lovers in Augenschein zu nehmen. Auch das hatte er ihr postwendend mitgeteilt. Sie habe sich trotz Computer und Amsterdam nicht verändert, schrieb sie zurück, sie möge es noch immer nicht, wenn man sie gleich bedränge. »Schön, daß du meine Zeilen ernst nimmst,« war Viktors Antwort, dessen alte Lust auf Ira tatsächlich schlagartig wieder ausgebrochen und offenbar auch für sie spürbar geworden war. Dann war Stille. Seitdem hatte er nichts von ihr gehört. Vor dem Umzug nach Zürich war das gewesen, in Frankfurt noch. Und zehn Jahre mehr oder weniger waren es her, seit die Ehe mit Ira auseinandergegangen war. Fast so lange hatte er sie nicht gesehen. Vermutlich war sie auch schon über vierzig.
Viktor hatte Ira viel zu verdanken. Ihretwegen hatte er am meisten gelitten und getobt. Nachdem sie ihn verlassen hatte, waren viele seiner Bücher zu Vergeltungsschlägen gegen sie geworden. Ira hatte Temperament in seine Romane gebracht. Sofern er in all den Jahren wußte, wo sie wohnte, hatte er ihr immer seine neuesten Bücher zuschicken lassen, denn noch immer kam sie in ihnen vor und sorgte für Unruhe und für die schönen ordinären Gefühle. Selten hatte sie auf seine Bücher reagiert und wenn, dann nur in wenigen knappen Zeilen. Sie hatte nie viel geschrieben, weder in der wilden Phase vor ihrer Ehe, noch in der grausamen Phase am Ende ihrer Ehe. Die lapidare Anweisung war ihr Stilmittel. »Komm sofort!« oder: »Laß mich in Ruhe!«
Das neue Buch mit Erzählungen, das er gerade erst Aza hatte zukommen lassen, war schon ein paar Tage vorher an Ira abgegangen. Denn es enthielt eine Erzählung mit dem Titel »Die Nacht von Lissabon«, in der sich Viktor nach so langer Zeit noch einmal für ein paar alte Unarten von Ira hatte rächen müssen. Schon daß er sie »Erika« nannte, war Rache, denn den bilderbuchdeutschen Vornamen konnte Ira nicht ausstehen. Viktor hatte Erika Iras Worte vom »Ausleben der Phantasien« in den Mund gelegt, die ihm früher immer auf die Nerven gegangen waren, und in der Nacht von Lissabon vergingen Erikas Zikken – bei einem heftigen Ficken. Viktor hatte sich den albernen Reim nicht verkneifen können und gegen den Rat des Lektors durchgesetzt. Happy End. Am Morgen verspricht der Liebhaber, sie nie mehr »Erika« zu nennen. Die Geschichte schloß mit den Sätzen: »Du bist jetzt Rika. Schluß mit Heidekraut. Das E ist weg.«–»Danke«, sagte sie, »es war an der Zeit. Der Vokal hat uns lange genug behindert.«
Nun also überraschend Post von Ira. Es wäre völlig unüblich, wenn sie die Lissabon-Geschichte so prompt kommentieren würde. Mittlerweile war es halb zwei in der Nacht, vergessen war die Prinzessin Aza, und äußerst gespannt begann Viktor den ersten
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