Der Liebessalat
zuschrie. Er selbst hatte sie früher nie so in Fahrt bringen können. Dieser wunderbare Zufall bewegte sie mehr als alles andere. Nie hatte sie sich so offen mitgeteilt.
Ein paar Gedenkminuten lang lehnte sich Viktor mit geschlossenen Augen zurück und genoß beglückt diese Fügung, die sein Leben nicht ändern würde, die aber schon jetzt eine ebenso märchenhafte wie reale Bereicherung darstellte. Schon lange litt er nicht mehr wegen Ira, das war vorbei. Es war aber mehr als ein nachgetragener Trost für alten Tort, der ihm hier übermittelt worden war, es war so etwas wie ein Anfang. Er spürte, daß nach all den Jahren noch immer Glut für Ira in ihm war, und wie durch diesen Bericht sofort ein paar kleine Flammen züngelten. Er lachte in sich hinein vor Glück, weil sein Herz ohne sein Wissen und ohne sein Zutun den Keim einer alten Liebe bewahrt hatte. Ein längst verloren geglaubtes Gefühl war mit einem Mal wieder da, ein Fundstück. Er hätte schreien können vor Lebenslust und guter Laune, und er schrie sein Vergnügen in den Brief hinein, den er sofort an Ira in den Computer tippte, und der Gedanke, daß sie in diesem Augenblick im fernen Amsterdam auf seine Antwort lauerte, erheiterte ihn maßlos. Eine Stunde lang prasselten seine Finger auf die Tasten, er schrieb die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, alles über Aza, über den Anfang der Geschichte, der trotz modernen E-Mailens zauberhaft gewesen sei, über sein Abprallen an ihr – von wegen Eroberung. »Ich fasse es nicht«, schrieb er, »erst durch dein Erlebnis und deine Zeilen ist mir klargeworden, wie ähnlich sie dir sieht. Jetzt ist mir so, als sei ich nur deswegen hinter ihr hergewesen, weil ich mit ihr im Grunde nur dich wiedergewinnen wollte.« Nach diesem Geständnis bat er Ira, ihm sofort ihre Telefonnummer zukommen zu lassen, sie müßten heute Nacht noch über diesen wahnsinnigen Zufall sprechen, und im übrigen sei sie ihm noch die Mitteilung schuldig, was Aza gemacht habe, nachdem sie seine Bücher aus dem Umschlag herausgezogen hatte.
Viktor feuerte seine Botschaft ab und harrte nun seinerseits ungeduldig auf Antwort, die eine halbe Stunde später eintraf: »Willst du hören, du Schuft, daß sie deine Bücher verliebt durchblätterte, die Seiten küßte und mit Glückstränen zu lesen begann? Ich muß dir mitteilen, daß sie deine beiden Bücher leider nur für einen Augenblick in ihren Händen gehalten und dann mit ihren schlanken Fingern wieder in den Umschlag zurückgeschoben und in die Reisetasche unter ihrem Sitz gesteckt hat. Ich nehme an, du hast ihr wie auch mir etwas in die Bücher hineingeschrieben. Sie hat keines der Bücher auch nur aufgeklappt. Als ich ausstieg, trafen sich für einen Moment unsere Blicke, und in meiner Eitelkeit schämte ich mich wegen meines abgehetzten Aussehens. Ich muß ihr hornalt und vollkommen uninteressant erschienen sein, so daß sie mich sofort vergessen hat – hoffentlich. Heute nacht kannst du mich nicht anrufen. Morgen vielleicht. Schau vorher nach, ob du eine Mail von mir hast. Ira« Ein seltsam förmliches, aber schönes P.S. hatte sie auch noch angebracht: »Diese Geschichte ist unglaublich und zeugt von unserer großen Verbundenheit und macht jeglichen Zoff zunichte, den wir zusammen hatten.«
»Kleine Fußnote zu der Ähnlichkeit von dir mit deiner Reisebegleiterin«, antwortete Viktor: »Azas kompletter Vorname ist Azamira. Beachte die letzten drei Buchstaben. Mir wird ganz überirdisch zumute. Ich bin der Prinzessin Azamira sehr dankbar. Eine echte Gesandte wurde uns geschickt, damit wir uns aussöhnen.«
Es war mittlerweile halb fünf Uhr früh, und Ira schrieb: »Bleib bitte am Boden. Gute Restnacht. Bis morgen.«
Viktor döste vier Stunden selig in den Samstagmorgen hinein und war dann ein auffallend zuvorkommender, wohlgelaunter und brötchenholender Ehemann. »Was ist mit dir los?« fragte Ellen. »Es läuft gut«, sagte er. Abends hatten sie Gäste. »Gibt es Neuigkeiten von Prinzessin Aza?« wurde Viktor gefragt. Viktor sagte, seine Späher hätten ihm berichtet, sie sei zuletzt unterwegs nach London in einem Zug nach Ostende gesichtet worden, mit seinen letzten beiden Büchern auf dem Schoß, leider hätte sie es nicht für nötig befunden, auch nur eines der Bücher aufzuschlagen und wenigstens die anzügliche Widmung zu lesen. Man gratulierte Viktor zu seiner selbstironischen Phantasie. Um halb zwölf saßen die Gäste noch fest in ihren Sesseln und Sofas. Um
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