Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
Fixpunkt in seinem Leben. Kurze Zeit später konnte man in Viktors Büchern Hymnen auf die Wonnen des Wiedergewinnens von Herzen lesen. Das habe eine ganz andere Wucht als eine herkömmliche Eroberung, fanden Viktors einschlägige Protagonisten. Eine alte Liaison zu reanimieren, sei das höchste der Gefühle und die wahre Liebeskunst. In einem seiner Bücher bemühte Viktor gar die Architektur-Metapher und behauptete, so wie es lohnender sei, schöne alte Häuser zu restaurieren und vielleicht vorsichtig mit einigen modernen Elementen zu versehen als einen gottverdammten Neubau auf die Wiese zu stellen, so könne analog zum Erhalt kostbarer Bausubstanz das Retten oder Ausgraben verschütteter Gefühle sinnvoller sein.
    Wenn einige Fans in Viktors letzten beiden Büchern die Bitterkeit vermißten, war daran mit Sicherheit Ira Schuld, die in etlichen Büchern zuvor ausgiebig für eben diese Bitterkeit gesorgt hatte. Eine Frauenfigur namens Mira tauchte in einem Roman Viktors auf, an der das jahrelange Konservieren alter Neigungen beschrieben wurde, allerdings ohne daß es zu irgendwelchen Begegnungen in Zügen gekommen war. So wunderbar die Begegnung war, so taugte sie Viktor nicht für seine Bücher, in denen weder der unglückliche noch der glückliche Zufall eine Rolle spielen sollte.
    Ira tat Viktor gut und machte ihn ruhiger. Unabhängig von ihrem Status als zweite Ex-Ehefrau war sie Geliebte, Freundin, Vertraute, Komplizin in einem. Sie war mit einem Lover versorgt, der nicht erfunden zu sein, sondern den es tatsächlich zu geben schien, sie hatte Kinder, einen Beruf. Sie brauchte Viktor nicht zum Atmen. Sie litt so wenig unter seiner Abwesenheit wie er unter der ihren. Aber sie freuten sich immer auf die nächste Begegnung. Sie sahen sich nicht öfter als alle drei bis vier Monate, und das genügte. Vor jedem Treffen sagte Ira: »Keine Garantie.« Sie meinte damit, für Sex könne sie nicht garantieren. Das war die Bedingung aller Treffen. Abwarten, wie es sich entwickelt. Es konnte sein, daß ihr nicht danach zumute war, mit Viktor in ein Bett zu steigen. Sie wollte sicher sein, in dem Fall kein Jammern zu hören. Einmal schickte sie eine Botschaft aus Neapel von einem Resozialisierungskongreß. Wider Erwarten hatte sie einen Tag frei. Wäre schön, wenn Viktor kommen könnte. Aber, schrieb sie, falls du dich aufraffst, vergiß nicht, dein Risiko, keine Garantie, du mußt selbst wissen, ob dir die Reise unter diesen Umständen wert ist.
    Es war nicht das Risiko, ob er sie würde entflammen können oder nicht, sondern der blanke Zeitmangel und die lange Fahrt, die Viktor das Angebot ausschlagen ließen. Eine Absage, die Ira in keiner Weise als ein Zeichen mangelnder Leidenschaft wertete, mir der sich Viktor selbst aber völlig übernommen hatte und die ihn so quälte, daß gleich drei Erzählungen daraus wurden. Ein Mann, der einem solchen Lockruf einer Frau nicht folgte, war ein libidoloser Kartoffelsack, der diese Frau nicht verdient hatte. Vor diesen Erzählungen waren Dutzende von Briefen an Ira entstanden, aus denen er dann die fiktiven Geschichten erst herausdestilliert hatte. In diesen Briefen hatte sich Viktor derart hysterisch der Mutlosigkeit und Trägheit und der fehlenden Risikobereitschaft bezichtigt, daß Ira ihn beschwichtigte und ihm nun ihrerseits garantierte, er habe in Neapel nichts versäumt. Seitdem schwelte bei beiden der Wunsch, gemeinsam nach Lissabon zu reisen und dort miteinander genau das zu tun, was in Viktors Erzählung »Die Nacht von Lissabon« ein gewisser Tom und eine gewisse Erika miteinander tun, Erika, die sich in jener Nacht sozusagen vom zickigen Heidekraut in eine zakkige Agave namens Rika verwandelt.
    Viktor und Ira »arbeiteten an Lissabon«, wie sie es nannten, aber Lissabon war nicht nur weit, Lissabon war sehr kompliziert. Denn Lissabon stand auch auf Ellens Wunschliste ganz oben. Es steht zwar nirgends geschrieben, aber es gehört sich nicht, mit der Ex-Ehefrau zuerst an einen Ort zu fahren, den die Ehefrau schon längst einmal besuchen wollte. Das kann auch bei großzügigen Menschen Ärger hervorrufen. Selbst in einer aufgeklärten und wahrhaft freizügigen Gesellschaft, in der sich Viktor manchmal wähnte, mußte man immer wieder einmal auf archaische Prioritäten Rücksicht nehmen. Und auch Iras Lover schien seltsamerweise unbedingt mit Ira nach Lissabon reisen zu wollen. »Ich hoffe nicht, daß ihn meine Erzählung dazu angeregt hat«, sagte Viktor. Das wäre ihm

Weitere Kostenlose Bücher