Der Liebessalat
bereit, zwei Tage Urlaub zu nehmen. Viktor buchte um den Verlagstermin herum eine Reise mit Ellen nach Amsterdam und ließ dann den Verlagstermin platzen. »Das ist aber dumm für dich«, fand Ellen und wollte nun auch nicht fahren. »Gebucht ist gebucht«, sagte Viktor heroisch, »das Privatleben geht vor.« Ellen und er machten sich drei schöne Tage in Amsterdam. Vierzehn Tage später ließ er sich einen neuen Termin bei dem Verlag geben und mußte noch einmal nach Holland reisen. Diesmal allein.
Der Verleger war langsam und bedächtig. Er wollte, wie alle Verleger, mit dem Autor in ein Restaurant gehen und die Sache beim Essen besprechen. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Viktor, der nur an Ira dachte und dem nicht danach war, zwischen einem schlichten Fischlokal mit grandioser Küche oder einem berühmten Fischlokal mit einer eher schlichten Küche zu entscheiden. Der alte Verleger seufzte. Die jungen Autoren hätten keinen Sinn mehr für die Freuden des Daseins und die deutschen seien am freudlosesten. »Haben Sie mein Buch gelesen?« fragte Viktor, und als der alte Verleger nickte: »Vielleicht können Sie sich an diese Frau erinnern, die dem Helden den Verstand raubt.«–»Die mit den Bernsteinaugen, in denen man immer eine eingeschlossene kleine Fliege erwartet?« fragte der Verleger. Viktor nickte: »Sie ist hier in Amsterdam.« Der alte Verleger sprang auf: »Gehen Sie«, rief er, »gehen Sie sofort zu ihr. Wir machen das Buch. Ganz klar. Alles Weitere am Telefon. Viel Glück. Und einen Gruß an die Bernsteinfrau.«
Ira hatte sich nicht sehr verändert. In ihren Bernsteinaugen war noch immer keine kleine eingeschlossene Fliege zu sehen. Viktor griff in ihr schwarzes, jetzt mittellanges, nicht mehr ganz so seidiges Haar. »Nachgeholfen«, sagte sie und fügte hinzu: »Aber nur ein bißchen.«
Sie redeten bis tief in die Nacht. »Warum sitzt du so weit weg«, fragte sie. »Weil du nicht bedrängt werden willst«, sagte Viktor und kam zu ihr aufs Sofa. »Dein Wille geschehe«, sagte er. Sie saßen da wie ein fünfzehnjähriges Liebespaar und wußten nicht weiter. Ira wollte nicht allein in ihr Bett gehen und mit Viktor schon gar nicht. Zu zweit auf dem Sofa war es eng. Irgendwann schliefen sie auf dem Sofa ein, sittsam in Kleidern, aber unsittlich eng aneinandergedrückt.
Am nächsten Morgen beim Frühstück sagte Viktor. »Was ist der Unterschied zwischen einer erfüllten Liebesnacht und unserer gestrigen: keiner! Wären wir glücklicher, wenn wir heute nacht gevögelt hätten: nein!« Ira widersprach. »Ihr Frauen denkt immer nur an das eine«, sagte Viktor.
Ira hatte nur am Vormittag zu tun. Viktor rief zu Hause in Zürich an und sprach für Ellen auf den Anrufbeantworter, daß der holländische Verlag das Buch vielleicht machen werde, er müsse heute und vielleicht morgen noch etwas darauf hinarbeiten. Tag der Rückkehr offen. Am Nachmittag ging er mit Ira in dieselben Museen, in denen er vierzehn Tage zuvor mit Ellen gewesen war. Er verriet es ihr, und sie lächelte und schüttelte den Kopf. Irgendwann würde er es auch Ellen verraten, und sie würde lächeln und den Kopf schütteln.
In Iras Wohnung angekommen, gingen sie diesmal gleich zusammen ins Bett. Es tat ihnen gut. Auch im Bett wurde viel geredet. Ira erzählte von ihren Kindern und von ihrer Arbeit. Sie machte nicht mehr Gymnastik, sondern Resozialisation. »Resozialisiere mich, sofort!« sagte Viktor. »Ich mache eigentlich Opfer und nicht Täter«, sagte sie und beugte sich über ihn: »Aber ich mache auch Ausnahmen.«
Von ihrem Lover erzählte sie fast nichts. Viktor hatte den Verdacht, Ira habe diesen Lover nur erfunden, um eine Möglichkeit zu haben, ihn, Viktor, auf Distanz zu halten. Das war Ira zu viel: »Für diese unverschämte Vermutung mußt du bestraft werden«, sagte sie und richtete sich auf, »weißt du was: Er fickt besser als du, wesentlich besser – obwohl er wesentlich älter ist.«
Das Wiedersehen in Amsterdam war über ein Jahr, vermutlich fast schon wieder zwei Jahre her, jetzt, an jenem Wochenende, als Viktor von seiner Lesereise zurückgekehrt war, auf der er die Nasenring-Tina und eine falsche Tscherkessin namens Rebecca kennengelernt und die lila Lederhosen-Sabine wiedergesehen hatte und an dem seine Frau Ellen mit ihrer Freundin Barbara in Kopenhagen war. Seitdem die falsche Prinzessin Aza damals im Zug von Frankfurt nach Köln von Viktors zweiter Ex-Ehefrau Ira beobachtet worden war, war Ira wieder ein
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