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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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deponierte. Ein anderes Brett nannte er »Ella, erste Ehefrau« und erfand eine Szene, wie Ella reagiert hätte, wenn er mit solchen Bügelbrettern und Obstkartons angekommen wäre: Sie hätte bei einem Ökoschreiner zehn wunderschöne Klapptische anfertigen lassen und in einem Ökobüroeinrichtungshaus ein paar Dutzend noch schönere Papierbehälter gekauft, dann hätte sie eine von Viktors Lesereisen ausgenützt, um seinen geliebten Billigschrott gegen die sündhaft teure Schickeriaware einzutauschen, und bei dieser Gelegenheit wäre ihr so manches Papier mit so manchem bösartigen Gedanken vor Augen gekommen. »Ich habe eine Überraschung für dich«, hätte sie gesagt und Viktor in das nun erstklassig eingerichtete Zimmer geführt.
    Viktor aber hatte nun Ellen in das Zimmer geführt und diese gebeten, die beiden Skizzen zu lesen. Sie las und lachte. Ihre Schultern zuckten so ausgelassen, daß Viktor den schwierigen Satz sagen konnte, den er nur selten über die Lippen brachte: »Ich liebe dich!« An solche Bekundungen war Ellen nicht gewöhnt. Sie lachte noch heftiger. »Mal halblang«, sagte sie, und dann gingen sie ins Bett und liebten sich. Sie liebten sich nicht oft, aber sie liebten sich.
    Im Zuge der Aufräumarbeiten waren weitere Bügelbretter dazugekommen. Das ganze Gästezimmer war kaum noch begehbar. Bald gab es ein Ira-Bügelbrett, ein Susanne-Bügelbrett, ein Beate-Bügelbrett, und es gab ein Penelope-Bügelbrett. Obwohl Viktor mit dieser Frau keinen Kontakt hatte, hatten seine verliebten Phantasien genügend Notizen abgeworfen, um drei Orangenkartons mit Penelope-Visionen zu füllen – Orangen, weil Orange die Lieblingsfarbe von Penelope war, wie Barbara einmal zu Ellen bemerkt hatte, einerseits beiläufig, andererseits so leise, als handle es sich um ein Geheimnis, das Viktor nicht wissen dürfe. Egal was sie sagten: Immer wenn Barbara und Ellen von Penelope sprachen, schwärmten sie von ihr, und seitdem Viktor Grund zu der Annahme hatte, daß Penelope ihm gut gefallen könnte, seitdem er ihr Bild reizvoll unverkennbar vor seinem inneren Auge hatte, vermehrte das harmlose Schwärmen der Frauen von ihrer Italienischlehrerin seine seltsame Liebe zu dieser unbekannten Frau. Es war tatsächlich ein Akt der Liebe, als er glücklich seufzend die holländischen Gurkenkartons gegen israelische Orangenkartons tauschte. Noch funktionierte sein Verstand soweit, daß er sich dabei seltsam vorkam: Ein Mann Anfang Vierzig schichtet verliebte Notizen über eine Frau, die er noch nie gesehen hat, von Gurkenkartons in Orangenkartons, weil er gehört hat, daß diese Frau die Farbe Orange besonders schätzt. War das noch normal? Viktor entschied sich: Es war an der Grenze, aber es war noch normal. Die etwas okkulte Umbettung hätte eher zu einem verliebten Fräulein aus dem neunzehnten Jahrhundert gepaßt als zu einem erwachsenen Mann dieser Tage, aber warum sich nicht einmal wie ein Mädchen vor hundertfünfzig Jahren verhalten. Viktor beschloß ferner, seine symbolische Handlung weniger krank zu finden als die Rituale der abendländischen Grabpflege. Er diente dem Leben und nicht dem Tod. Was hatten die tote Tante oder der im Krieg gefallene Mann davon, wenn man ihnen frische Blumen aufs Grab legte? Ein Akt der Würde, okay. Die Lebenden aber hatten ein würdiges Gedenken noch mehr verdient. Und überdies war von ihnen vielleicht noch eine gewisse Anerkennung zu erwarten. Eine von Viktors jungmädchenhaften Kitsch-Vorstellungen sah so aus: Eines Tages klingelt eine wunderschöne Frau und verlangt nach Ellen. Es stellt sich heraus: Es ist Penelope. »Mein Gott«, sagt Viktor und wird blaß. »Ist Ihnen nicht gut?« fragt Penelope. Sie läßt sich darauf ein, einen Tee mit ihm zu trinken. »Ellen müßte jeden Augenblick kommen«, sagt er und hofft, daß sie so lange wie möglich wegbleibt. »Schöne Wohnung«, sagt Penelope irgendwann. Jetzt ist es soweit. »Ich möchte ihnen ein Geheimnis zeigen«, sagt Viktor. »Gern«, sagt sie völlig unerschrocken. Er führt sie in das Gästezimmer, er zeigt ihr das Bügelbrett. Ihr Bügelbrett. Ein Schild hängt daran mit der Aufschrift »Penelope«. »Wenn ich gewußt hätte, wie sie aussehen«, sagt Viktor, »wäre es nicht bei drei Kartons geblieben.«–»Orange«, flüstert Penelope verzückt, »Sie wissen nicht, was mir das bedeutet.«–»Ich wußte es«, sagt er sanft und erzählt die Geschichte vom Umbetten der Penelope-Papiere in die angemesseneren Kartons. »Sie

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