Der Liebessalat
Philorientalist«, rief die schwedische Ehefrau, als sie ein Foto entdeckte, das ihren geschäftsreisenden Gatten mit einer suleika-artigen Fremden am Fuß des Eiffelturms zeigte. »Entschuldige«, sagte er, »ich habe als Kind zuviel von den Märchen Hauffs und von denen aus Tausendundeiner Nacht gelesen.«–»Du hättest lieber Detektivgeschichten lesen sollen«, schimpfte die Schwedin und schüttelte den Kopf: »Wie kann man a.) so geschmacklos sein, ein solches Foto überhaupt machen zu lassen, und b.) so dumm, es in der Innentasche seiner Jacke aufzubewahren, wo doch bekannt ist, daß Millionen von Ehefrauen die Anzüge ihren Männer in die Reinigung bringen?« Die Schwedenfrau war Sprachwissenschaftlerin, und ihr Mann versuchte abzulenken: »Sagt man wirklich Philorientalismus? Nicht eher Philo-Orientalismus?«
Wohin mit solchen Notizen? Wenn Viktor sie unterwegs auf irgendwelche Zettel schrieb, mußte er zu Hause versuchen, sie an der richtigen Stelle abzulegen. Sonst waren sie verloren. Sie waren allerdings in jedem Fall verloren, denn er würde sie vergessen und daher gar nicht erst suchen.
Weniger um seine Hunderte oder Tausende von Notizen je wiederzufinden, sondern um sich in der Illusion des Wiederfindens und der Verfügbarkeit wiegen zu können, hatte Viktor in dem geräumigen Gästezimmer, in dem noch nie ein Gast genächtigt hatte, mehrere Bügelbretter aufgestellt. Die häßlichen, billigen, mit einem ekelhaft gemusterten Stoff bezogenen Bügelbretter erwiesen sich als ideal. Als Viktor sich nach dem Unzug nach Zürich nicht mehr in seinen Papieren zurechtfand, hatte ihn der Ordnungswahn gepackt, und er hatte zehn dieser abscheulichen x-beinigen Geräte besorgt, die man in Sekundenschnelle zu einer schmalen Ablagefläche umfunktionieren konnte. Auf den Brettern türmten sich Kartons aus Supermärkten. Worin einst holländische Gurken, israelische Apfelsinen, sizilianische Tomaten und deutsche Eier transportiert worden waren, stapelten sich nun Briefe verschiedener Frauen an Viktor sowie Kopien seiner Briefe an diese Frauen, daneben Briefe, die er überarbeitet hatte, um sie so für irgendwelche nächsten Romane tauglich zu machen, und Entwürfe von Romanpassagen, in welche Formulierungen oder Gefühle aus diesen Briefen eingegangen waren. Hier mischten sich Wahrheit und Lüge, Tatsache und Erfindung, Fiktion und Wirklichkeit. Viktor konnte und wollte nicht mehr unterscheiden, ob er das wirkliche Vorbild liebte oder das literarische Abbild. Es war kein Unterschied. Es war dieselbe Liebe, die in seine Romane und in seine Briefe an wirkliche Frauen floß– und genau diese Beteuerung war es dann, die in unschönen Augenblicken nicht nur von Ira, sondern auch von manchen anderen von ihm vergötterten Frauen gegen ihn verwendet wurde: »Du liebst nicht mich, sondern dein Bild von mir! Du idealisierst mich!«
Die nicht nur billigend in Kauf genommene, sondern gezielte Vermengung von Einbildung und Realität war ein guter Schutz. Echte schamlose Botschaften, echte infam eingefädelte Geheimtreffen, verwandelten sich in Viktors Gästezimmerkartons in erfundene, wie umgekehrt manche Untaten seiner Figuren aussahen, als habe er sie selbst begangen. Jeder Spion hätte sofort herausfinden können, daß der Romanfigur namens Erika eine gewisse Ira zugrunde lag, die Viktor ähnlich karge Botschaften hatte zukommen lassen wie die Roman-Erika dem obskuren Helden. Ob aber die Nacht von Lissabon in Wirklichkeit so stattgefunden hatte wie im Roman beschrieben oder nicht, blieb ein Geheimnis, das allein Ira und er kannten, und das in diesem Gemisch aus Dichtung und Wahnsinn auch dem gerissensten Ermittler verborgen bleiben mußte.
Ellen hatte erst gegen die Bügelbretter und die Obstkartons rebelliert, dann aber die Geschmacklosigkeit hingenommen. »Du brauchst das wohl, um dir nicht etabliert vorzukommen, richtig?« sagte sie. »Richtig«, sagte Viktor, der alles haßte, was nach Design, nach Geschenkidee und nach Einrichtungshäusern mit ihren »praktischen Ideen für das Büro zu Hause« erinnerte. Er schrieb sofort eine Eheszene, in die er Ellens Kommentar einflocht. Dann malte er auf ein Stück Pappe die Worte »Ellen, derzeitige Ehefrau«, faltete die Pappe zu einer Tischkarte, wie sie bei Podiumsdiskussionen und Kongressen vor den Teilnehmern stehen, und machte das erste Bügelbrett damit zu dem seiner Frau. Dann weihte er das Brett ein, indem er als erstes Dokument die eben entworfene Eheszene dort
Weitere Kostenlose Bücher