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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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lieben mich ja«, sagt Penelope und schlingt sich um Viktors Hals. Schwach vor Glückseligkeit umarmt er zurück. Vorhang – und dann die warme Stimme des Gottes der Liebe: »Nur die werden die Liebe erfahren, die den Wahnwitz nicht scheuen.«

    An diesem Spätsommersamstag, als Ellen mit Barbara Kopenhagen besuchte und Viktor von seiner Lesereise zurückgekommen einen ruhigen Tag in Zürich eingelegt und sich dann in einer Notiz über seinen Philorientalismus oder Philo-Orientalismus mokiert hatte, benutzte er dazu den Computer. Der Computer enthielt weit mehr Liebesmaterial als die Obstkartons auf den Bügelbrettern. Hier war das Hin und Her der Liebe besser zu verwalten, und vor allem standen die Chancen besser, die Einfälle später wiederzufinden. Doch auch hier stellte sich dieselbe Frage wie bei den Obstkartons und den Bügelbrettern: Wohin damit? Viktor entschied sich für den Ehe-Ordner. Er wählte nicht den selten benutzten Unterordner »Ehe und ihre Vorteile«, sondern »Zank und Zoff« und knipste dann nicht auf »Die katastrophalen Qualen«, sondern auf den prall gefüllten Unterunterordner mit der Bezeichnung »Qual banal«. Dort legte er seinen schnippischen Dialog über den Orientalismus ab. Dann öffnete er den wichtigsten Ordner mit dem unscheinbaren Namen »Diverses«, und schon prangten in einem abgestimmten Farbsystem und schönstens aufgereiht diverse Ordner mit Frauennamen, oben in verschiedenen Grundfarben immer die wirklichen Frauen: Ellen blau, Ira rot, Ella grün, Susanne violett, Beate braun und Penelope natürlich orange. Daneben noch weitere Namen aus der tieferen Vergangenheit. Den wirklichen Frauen untergeordnet, in passend abgestuften Farben, ruhten sanft diejenigen erfundenen Frauenfiguren aus den Romanen und Erzählungen, denen die echten Figuren Leben eingehaucht hatten. So befanden sich im feuerroten Ira-Ordner die Unterordner Vira giftrot, Mira burgunderrot, Ines blutrot und Rika rosarot.
    Viktor legte neue Ordner mit den Titeln »Tscherkessin/Rebecca«, »Nasenring-Tina« und »Altschuld-Sabine« an, machte eine Kopie seiner Orientalismus-Notiz und tat diese zur Tscherkessin und notierte noch dies und das. Dann leerte er die Fächer seiner Reisetasche und die Taschen seiner Jacke, in denen sich noch nie verräterische Fotos befunden hatten, ging ins Gästezimmer, stellte ein neues Bügelbrett auf und deponierte dort die auf der jüngsten Lesereise entstandenen Texte: das Nasenringgedicht, die Kopie seines Briefs an die Tscherkessin und was sonst noch angefallen war. Dabei versuchte er, sich nicht wie ein Buchhalter oder Briefmarkensammler zu fühlen.
    Andere Menschen ordneten ihre Bankunterlagen, sie gingen mit dem Computer ins Netz und beobachteten die Kurse ihrer Wertpapiere und die Bewegungen auf ihren Konten. Das war pedantisch. Das war kindisch. Wieder andere blätterten unentwegt in Reiseprospekten und legten Listen mit Ländern an, in denen sie waren und in die sie noch reisen wollten. Auch das war armselig.
    Viktors Sichten und Schichten von echten und halbechten Liebesdokumenten hatte Ellen nicht verborgen bleiben können, und natürlich machte sie sich mit all ihrer Verhöhnungskraft darüber lustig. Und Viktor ertrug gern den Vorwurf, ein »verknöcherter Buchhalter der Liebe« zu sein. Denn Ellens Kopfschütteln über sein kauziges Bügelbrettsystem ließ ihn seine tatsächlichen Taten und seine nicht weniger tatsächlichen Träume als verzeihliche Sünden erscheinen. Mochte sein Zwang zu immer wieder neuer fremder Liebe auch etwas wahnsinnig sein, er schöpfte aus diesem Wahnsinn für seine Bücher. Für Viktors Privatmoral war das, was er sich und seinen Büchern zuliebe betreiben mußte und was die bürgerliche Gesellschaft »Untreue« und »Ehebruch« nannte, weniger kriminell als das Beobachten des Aktienindex und auch weniger stumpfsinnig als der Zwang, an alle möglichen Orte der Welt reisen zu müssen. So hatte er seiner ersten ökologisch denkenden Frau Ella gegenüber seine aushäusigen erotischen Umtriebe zu rechtfertigen versucht: Es sei für die Umwelt weniger schädlich, sein kleines Glück ab und zu bei einer anderen, nicht allzu weit entfernten Frau zu suchen, als ständig mit riesigen Flugzeugen in weit entfernte Länder zu düsen. Das hatte Ella nicht einsehen wollen. Er hatte nur fünf Minuten seinen Schreibtisch verlassen müssen, schon hatte sie das energievergeudende Licht in seinem Arbeitszimmer ausgemacht.

    Das Wochenende ohne Ellen war

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