Der Liebessalat
Millionen. Die Firma muß das Geld locker machen. Keine Polizei. Sonst ist es aus.«
»Genau«, sagte Ellen, »das sagst du.«
Sie würde erst am Dienstag spätabends oder sogar erst Mittwoch früh zurückkommen. Es war nicht das erste Mal, daß Ellen eine Rückfahrt verschob. Viktor war gern allein. Diesmal bedauerte er es. Offenbar war oder wurde er wirklich sentimental. Diesmal war er fahrig und unkonzentriert. Er konnte nichts mit sich anfangen. Allmählich sollte er sich Gedanken zu seinem nächsten Buch machen. Jedes Jahr ein Buch. Das verlange der unerbittliche Markt, behauptete Viktor, wenn Journalisten ihn auf seinen Fleiß ansprachen. Sonst gerate man als Autor in Vergessenheit. Vielleicht verlangte es auch sein Lebensstandard. Plattenfehlkäufe, die unsinnige Wohnung in Frankfurt, das häufige Essengehen, die Reisen – der Luxus kostete Geld. Vielleicht war es auch so, daß er nicht wußte, was er tun sollte, wenn er nicht schrieb. Es wurde Zeit, daß er sein nächstes Buch in Angriff nahm. Dann würde er ruhiger werden. Wozu aber noch Romane, wo es schon genug gab? Adrians Worte hatten ihn ungut an den überhitzten Kulturbetrieb erinnert. Er hatte schon seit langem Schwierigkeiten, Buchhandlungen zu betreten. Das Überangebot war ein Elend, das erste, was man vergessen und verdrängen mußte, wenn man selbst schrieb. Es war zum Verzweifeln. Er könnte in seinem nächsten Roman einen Mann zwischen der Tscherkessin und der Nasenring-Tina zappeln lassen.
Den ganzen Sonntag sah Viktor fern bis zum Selbstekel. Weil er es unwürdig fand, auch noch am Abend vor dem Fernseher zu sitzen, ging er ins Kino. Der gefeierte Film war belanglos. Weil er allein nicht gern essen ging, hatte er sich zwei Tüten mit Süßigkeiten an der Kinokasse gekauft und auch rasch verzehrt. Er verließ das Kino nach einer halben Stunde und hatte keine Lust, in ein Lokal zu gehen, weil ihm von den Süßigkeiten so übel war, daß ihm nicht einmal mit einem Schnaps und einem Kaffee geholfen sein würde. Der nächste Tag war nicht besser. Montag. Wenn er allein war, lebte er gern von Säften und Chips. Er besorgte beides, beides schmeckte nicht. Selbst die Äpfel, die er gekauft hatte, waren nicht nur fad, sondern widerlich. Er hatte Lust, mit der Tscherkessin zu telefonieren, aber er wollte nicht die Stimme ihres Mannes hören. Außerdem war sie an der Reihe, sich zu rühren. Am Montag vormittag war es kein Problem, Susanne anzurufen. Nachdem Köln nicht geklappt hatte, wäre ein Anruf angebracht gewesen. Ein Wiedergutmachungstreffen mit Susanne war fällig. Aber es war auch ein Wiedergutmachungstreffen mit Sabine fällig. Deswegen rief er Susanne nicht an. Obwohl es praktisch wäre, sie einzuladen. Ellen war nicht da, die Wohnung stand ihnen für das Susanne-Wiedergutmachungstreffen zur Verfügung. Ein weiterer Vorteil wäre, daß er die Wohnung etwas aufräumen würde, wenn Susanne käme. Wenn er allein war, verwahrloste alles sehr rasch. Geöffnete Tüten mit Kartoffelchips standen herum und strömten ungute Gerüche aus. Geöffnete Kartons mit scheußlichen Säften und unausgetrunkene Gläser klebten an Tischen und Fensterbrettern. Angerauchte, nicht schmeckende Zigaretten, aus Aschenbechermangel auf Zeitungen ausgedrückt, waren beim Aufgreifen der Zeitungen zu Boden gefallen.
An einem Tag Alleinsein sammelte sich Unrat an, dessen Beseitigung eine Stunde brauchte. Das war die Faustregel. Ein Erfahrungswert. Wenn Ellen am Mittwoch früh käme, würde er für den Dienstag vier Stunden Chaosbeseitigung einplanen. So gesehen wäre es schön, wenn sie später käme. Wenn er Susanne einlüde, würde er die Wohnung schneller in Ordnung gebracht haben. Auch das war ein Erfahrungswert: je unvertrauter die Frau, die man erwartete, desto schneller war alles picobello. Susanne kannte er fast schon zu gut. Er war schon fast so weit, daß er vor einem Treffen mit Susanne auf sorgfältig gefeilte Fingernägel und eine ausgesucht elegante Unterhose keinen Wert mehr legte. Das waren bedenkliche Zeichen. Einer der großen Vorteile dessen, was die anzügliche Gesellschaft »Seitensprung« nannte, war ja, daß man ein besserer Mensch wurde, wenn man warb. Man rasierte sich, man seifte und salbte sich, man feilte seine Fingernägel, man schnitt sich die Fußnägel, man nähte sich selbst Köpfe an, weil es keiner Ehefrau der Welt zuzumuten war, die Kleidung des Gatten für dessen Fremdgeherei in Schuß zu bringen. Man war aufmerksam, einfallsreich,
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