Der Liebessalat
unstrukturiert. Nachdem Viktor verhältnismäßig rasch seine literarische Werkstatt auf die Neuzugänge vorbereitet hatte, wußte er nichts mit sich anzufangen. Schuld an der Ziellosigkeit war die Musik. Heute in Zürich, und davor in Hannover und Köln, hatte er sich mehrere CDs gekauft, die allesamt nichts taugten. Gepriesener, zum Teil von Adrian höchstpersönlich empfohlener neuerer Jazz, der beim kurzen Hineinhören im Laden auch interessant geklungen hatte und der sich jetzt als matt und nichtssagend erwies. Deprimierend. Sieben CDs, die zusammen so viel kosteten wie ein ganzer CD-Player. Kein einziges Stück auf allen Scheiben, von dem er etwas hatte. Für nur drei substantielle Minuten Musik war Viktor bereit, einiges auszugeben. Aber so viel Geld für nichts, das war ärgerlich. Geld hatte Viktor ausreichend, das war es weniger. Es war beleidigend, daß solche Musik überhaupt gespielt und aufgenommen wurde, noch beleidigender, daß sie von Fachleuten gelobt wurde, und am beleidigendsten, daß Viktor darauf reingefallen war. Er rief bei Adrian an und beschwerte sich, daß die von ihm in Jazz-Zeitschriften hoch bewerteten CDs null und nichtig seien, und mußte sich von Adrian sagen lassen, daß der nicht jedesmal schreiben könne, die große, innovative und selbstverständliche Zeit des Jazz sei vorbei. Man müsse froh sein, daß es überhaupt noch Jazz gebe, sagte Adrian, es komme nicht in Frage, es sei gegen jede Vernunft und gegen die Spielregeln, in Jazz-Zeitschriften auf die Schwäche des heutigen Jazz hinzuweisen und fundamentale Kritik zu üben. Die Pop-Musik beherrsche den Markt, Jazz-Musiker müßten unterstützt werden, auch wenn sie nicht immer genial seien. Wenn Viktor zweihundert Mark für ein paar Scheiben ausgebe, werde ihm das kaum weh tun, dem Jazz aber werde damit geholfen.
Viktor fluchte, er sei kein Wohltäter, Adrian lasse sich von seinem eigenen Mitleid korrumpieren, was sei das für eine Kritik, der man nicht mehr trauen könne? Es habe keinen Sinn, eine kraftlose, absterbende Musik mit Gefälligkeitskritiken am Leben zu erhalten!
Da kam Adrian mit einem Totschlagargument. »Möchtest du über deine Bücher Kritiken lesen, in denen steht: ‘Ist ja alles schön und gut, aber Flaubert und Turgenjew, Stendhal und Tolstoj und sogar der flotte Maupassant haben es eigentlich besser gemacht. Die Zeit der Liebesromane ist vorbei, man muß sich fragen, warum Viktor Goldmann, noch immer nicht die Finger davon läßt.’ Möchtest du das lesen?« fragte Adrian.
»Du Schwein«, sagte Viktor, »Wie kannst du mir das antun, das wirft mich Tage zurück.«
»Ein paar Stunden vielleicht«, sagte Adrian, »du bist robust. Und ein paar Stunden nachdenken, das kann nicht schaden.«
Telefonieren mit Adrian war belebend, aber nicht ausreichend. Es war an der Zeit, den Freund zu sehen. Adrian wohnte in München und arbeitete in einem Jazz-Plattenladen. Dort würde ihn Viktor sehr bald heimsuchen müssen. Er brauchte dringend neuen guten und exklusiven Stoff. Auch mußte er mit Adrian gemeinsame Auftritte besprechen. Musik und Mundwerk. Das konnte die Leute zum Toben bringen. Schon sah er die Tscherkessin nach Adrians teuflischem Gefiedel tanzen. Und die Nasenring-Tina.
Am nächsten Tag regnete es in Zürich. Ellen rief aus Kopenhagen an und sagte, daß bei ihnen die Sonne scheine, daß sie sich mit Barbara gut verstehe, daß in den Museen tolle Bilder hingen und daß die Stadt viel schöner sei, als sie es sich vorgestellt hätte. Ihre frische Begeisterung erinnerte Viktor an Ella. Ella hätte damals gesagt: »Schade, daß du nicht da bist.« Die Bemerkung wäre ihm damals etwas zu süßlich vorgekommen. Er hätte darunter gelitten und sich sofort unfrei gefühlt. Ellen sagte nichts dergleichen, und das machte ihn wehmütig. Sie hätte ihm zuliebe etwas sagen können – um ihm Gelegenheit zu geben, »werd nicht sentimental« zu sagen.
»Schade, daß ich nicht dabei bin«, sagte er.
Ellen lachte: »Werd nicht sentimental.« Dann überraschte sie Viktor mit der Nachricht, sie werde nicht heute, sondern erst am Dienstag zurückkommen. Sie habe keine Lust auf ein verregnetes Zürich. Viktor möge bitte in ihrer Firma anrufen und irgend etwas von einer krank gewordenen Gattin murmeln.
»Was willst du haben?« fragte Viktor, »Durchfall?«
Durchfall wollte Ellen nicht haben. »Etwas Dezenteres bitte.«
»Du bist in der Hand von dänischen Separatisten. Entführt. Sie wollen ein Lösegeld. Fünf
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