Der Liebessalat
drei Tage. Da könnte doch ein Mann dahinter strecken. Was meinst du?«
Susanne verstand sofort die Botschaft hinter dem Gefasel und kam zur Sache: »Schade«, sagte sie ohne Umschweife, »ich kann heute und morgen nicht.«
»Schade«, sagte Viktor und war erleichtert. Doch eine Sekunde später war sein Bedauern echt. Die Art, wie Susanne ihn durchschaute und die Dinge sofort auf den Punkt brachte, zog ihn mit einem Mal ebenso heftig an wie die Tatsache, daß sie beide nie Gründe angeben mußten, wenn Treffen nicht stattfinden konnten. Keiner von ihnen würde je fragen: »Warum kannst du nicht?« Wie zur Belohnung, daß Viktor nicht nachfragte, sagte Susanne: »Es ist absurd, warum ich nicht kommen kann, ich muß die Wohnung in Ordnung bringen, die ist total auf dem Hund, mein Mann rebelliert diesmal zu Recht.«
Jetzt lachte Viktor und sagte die Wahrheit: »Ich wollte vor allem, daß du kommst, damit ich gezwungen bin, die Wohnung aufzuräumen. Ellen würde zu Recht rebellieren, wenn alle Zimmer verwahrlost sind.«
Susanne schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Okay, ich komme.« Schon eine Stunde später war sie da. Fast zu schnell. Es tat gut, nach so viel Imagination, einen wirklichen Körper zu umarmen. Es war schön, wie unterschiedlich die Liebe war. Doch es war schade, daß die aufregende Zeit des »Todenhöver-Drehs« schon so lange vorbei war. Übernachten wollte Susanne nicht, und das war Viktor sehr recht. Das Sofa im Arbeitszimmer war breit und bequem genug für eine Nacht zu zweit, aber ein bißchen komisch wäre er sich schon vorgekommen, so nahe an seinem Schreibtisch. Wie ein toll gewordener Abteilungsleiter beim Büro-Sex. Vielleicht sollte er die Bügelbretter aus dem Gästezimmer entfernen, um diesem Raum seine eigentliche Bestimmung zurückzugeben. Ehe Susanne ging, tranken sie noch Wein und machten Witze. Viktor kannte sie gut genug, um ihr von der Nasenring-Tina und von der Tscherkessin zu erzählen. Natürlich nicht schwärmerisch. Natürlich keine Details. »Schon gut«, sagte Susanne, »ich weiß, daß ich nicht dein ein und alles bin.«
Er fuhr sie nach Hause, sie unterhielten sich gut im Auto, und er bedauerte, daß sie beide keine Spur von Abschiedsschmerz verspürten. Bei Ehe eins war Ella es gewesen, die Abschiedsschmerz empfunden und bei ihm vermißt hatte. Bei Ehe zwei mit Ira war es zur Strafe umgekehrt: Da hatte er, wenn er das Haus in Frankfurt verließ, sich vergeblich umgeblickt, war extra langsam gegangen und hatte gehofft, daß ein Fenster im vierten Stück sich öffnen und Ira ihm nachwinken würde, wie es Ella immer getan hatte. Nichts. Er hatte Ella dann manchen Brief geschrieben: Wie gern er im Nachhinein an ihr Winken denke, was Ira für eine strenge Nichtwinkerin sei und wie er jetzt ihre, Ellas Wehmut über seine herzlose Winkverweigerung verstünde. »Du hast die Strafe verdient«, schrieb Ella zurück.
Es war nicht so, daß Viktor aus den Fehlern der beiden ersten Ehen nichts gelernt hätte. Mit Ellen herrschte ein Gleichgewicht. Nicht ein Gleichgewicht der Gleichgültigkeit, aber ein Gleichgewicht der Unsentimentalität. Gewinkt wurde nicht. Weder sie noch er erwarteten das. Daher fehlte Viktor etwas. In Ehe eins hatte Ella lernen müssen, daß sie ihn nicht zum Winker machen konnte, daß er im Gegenteil immer härter und abweisender wurde, je mehr sie das erwartete und einzuklagen versuchte. In Ehe zwei hatte er erfahren müssen, wie weh es tut, wenn man winken will und keine Gelegenheit dazu hat. In Ehe drei mit Ellen wurde nicht gewinkt – und prompt war bei ihm ein gro ßes Verlangen nach außerehelichem Winken entstanden. Viktor sehnte sich danach, das Fenster zu öffnen und einer Frau ausgiebig nachzuwinken, die sich langsam und immer wieder sich umdrehend entfernte, oder umgekehrt, sich selbst immer wieder sich umblickend zu entfernen: Drei Mal schon hatte die Geliebte das Fenster geöffnet, weit weg und winzig war nur noch ihr Arm und ihr Kopf zu sehen, und doch, welche Kraft ging von diesem Signal aus, welches Geschenk, so zu lieben und geliebt zu werden. In diesen Augenblicken muß man die Größe entwickeln, fand Viktor, und den Zug, zu dem man zum Beispiel unterwegs war, fahren lassen. Sie da oben kannte den Fahrplan, sie wußte, wie spät der Liebhaber dran war und daß er nun nicht mehr an der Kreuzung auf ein letztes Winken warten würde. Trotzdem kann sie nach einer Weile nicht anders, als noch einmal das Fenster zu öffnen, und wirklich,
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