Der Liebestempel
Das war der
erste zusammenhängende Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, als ich das
leichte Heben und Senken der kleinen Brüste sah. Ihre Augen waren geschlossen,
ihr magerer Körper nackt — blauschwarz unter dem matten Licht — und die Haare,
die wie zwei Flügel ihr Gesicht umgaben, waren dunkler als die Nacht. Sie
blinzelte ein- wenig, öffnete dann weit die Augen und sah mich bestürzt an. Die
volle, leicht herabhängende Unterlippe zitterte unsicher, und ich war eben im
Begriff, mich zu erkundigen, was die Witwe Magnuson eigentlich dazu trieb, splitterfasernackt in einem Sarg zu sitzen, als sie mir
zuvorkam.
»Es ist fort«, sagte sie mit
leiser, vorwurfsvoller Stimme.
»Fort?« echote ich.
»Was haben Sie damit gemacht?«
»Womit?« sagte ich mit
erstickter Stimme.
»Ich möchte es wiederhaben — jetzt.«
Sie lächelte unsicher. »Bitte! Bringen Sie es zurück. Ja?«
»Was?« Die Situation verwirrte
mich so völlig, daß ich nicht aufhören konnte, Echo zu spielen, sosehr ich es
auch versuchte.
»Das Licht, das mich führt
natürlich!« Ihre Stimme hatte etwas Eigensinniges. »Ich muß das Licht
wiederhaben, das mich führt.«
Ich öffnete den Mund, aber es
kam kein Wort heraus, vor allem deshalb, weil mir gleich darauf jemand einen
Schlag auf den Hinterkopf verpaßte . Für den Bruchteil
einer Sekunde hatte ich das Licht, das mich führen sollte, wieder — in Form
eines doppelten Begenbogens — , aber dann zog jemand
den Teppich unter mir weg, und ich fiel geradewegs durch den Boden hindurch in
ein tiefes dunkles Nichts.
VIERTES KAPITEL
J emand hat Ihnen also eines über
den Hinterkopf verpaßt«, sagte Sheriff Lavers und
schob seinen massiven Körper tiefer in den Stuhl. »Was passierte dann?«
»Ich wachte in meinem Wagen
sitzend wieder auf«, brummte ich. »Für eine Nacht schien mir das ausreichend,
und so fuhr ich nach Hause.«
Er zündete sorgfältig eine
Zigarre an und blickte dann aus dem Fenster. »Sind Sie ganz sicher, daß Sie
überhaupt von zu Hause weggefahren sind?«
»Was soll das heißen?«
»Nun«, er blickte mich wieder
an, und sein Gesicht, von dickem Rauch umringelt , sah
aus wie das eines blaubärtigen Sankt Nikolaus, »selbst Sie müssen zugeben, daß das
Ganze ein bißchen verrückt klingt, Wheeler. Da ist dieser Raum voller
wirbelnder Lichter und Jazzmusik, die so laut ist, daß man sie von Küste zu
Küste hören kann, und dann sitzt da diese nackte Witwe in einem mit Plüsch
ausgeschlagenen Sarg und bittet Sie darum, das Licht, das sie führt,
zurückzubringen!« Er kniff mißtrauisch die Augen zusammen. »Ich halte Sie nicht
für einen permanenten Irren, aber vielleicht waren Sie einfach zeitweilig ein
bißchen übergeschnappt? Sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich, und
vielleicht haben Sie einfach ein Glas zuviel getrunken, bevor Sie zu Bett gingen und...«
»Ich bin nicht verrückt«, sagte
ich kalt. »Ich habe außerdem da, wo ich geschlagen worden bin, eine weiche
Stelle am Hinterkopf.«
Er zuckte die Schultern. »Das
könnte auch irgendein Frauenzimmer in Ihrer eigenen Wohnung gewesen sein. Es
hat mich schon lange gewundert, daß das noch nie passiert ist.«
»Sie glauben mir kein Wort,
nicht?« sagte ich scharfsinnig.
»Abgesehen davon, daß Sie eins
auf den Hinterkopf gekriegt haben, nein«, sagte er und kicherte hämisch. »Aber
das glaube ich Ihnen schon.«
»Das Licht, das einen Menschen
führt«, beharrte ich. »Es ergibt einen gewissen Sinn. Dieser Raum war einer
dieser verrückten psydhodelischen Diskotheken, über
die man immer liest.«
»Psycho... Was für Theken?« Er
riß die zwischen Fettpolster eingebetteten Augen auf.
»Das ist eine neue
Errungenschaft«, erklärte ich. »Man will dieselben Effekte erzielen wie mit
irgendwelchen psychedelischen Drogen, man braucht sie dann gar nicht zu
nehmen.«
»Hören Sie zu«, sagte er in
beschwichtigendem Ton, »ich weiß, ich bin nur ein simpler alter Countysheriff , aber wissen Sie auch sicher, was Sie da
reden? Nehmen Leute diese Drogen, weil sie sich gern einbilden wollen, sie
säßen nackt in einem Sarg und lauschten auf Jazzmusik — während ein paar bunte
Lichter herumwirbeln?«
»Drogen wie LSD«, sagte ich mit
beherrschter Stimme, »desorientieren die Sinne. Die Süchtigen behaupten, sowohl
ihr Unterbewußtes als auch ihr Unbewußtes würde dadurch sozusagen freigesetzt, somit also die gesamte Psyche.« Ich sah
den verständnislos starren Blick in seinen Augen und
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