Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebestempel

Der Liebestempel

Titel: Der Liebestempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
Vom Netzwerk:
war, und dachte, daß jeder Einbrecher das Glück hat, das er verdient — vor
allem, wenn er so dumm war wie ich, ohne Taschenlampe irgendwo einzubrechen.
    Als ich in das Zimmer glitt,
schien die Dunkelheit undurchdringlich, und ich fummelte eine Weile umher, bis
ich eine Wand fand, von der aus ich mich zu einer Tür hintasten konnte. Danach erlebte ich fünf nervös machende Sekunden, während deren ich
Zentimeter um Zentimeter die Tür öffnete, aber niemand schrie mich an. Ich trat
in einen trübe beleuchteten, mit dicken Teppichen belegten Korridor hinaus, der
in striktem Gegensatz zu der klösterlichen Strenge dessen stand, was ich bei
meinem ersten Besuch gesehen hatte. Von irgendwoher ertönte Musik, und meinem
Gehör zufolge drang sie aus einer ein paar Meter weiter unten am Korridor
liegenden geschlossenen Tür. Musik bedeutete Menschen auf der anderen Seite
dieser Tür, und ein paar Sekunden lang malte mir meine aufgereizte Phantasie
das Bild einer gigantischen Orgie vor, die in diesem Raum stattfinden mußte,
wobei Justine das Mittelstück war und als einzige
wichtige Komponente Al Wheeler fehlte. Ich war mir über die Legalität von
Orgien in Südkalifornien nicht ganz im klaren — all die Berichte von
Klatschkolumnisten sind so verwirrend —, aber selbst wenn sie nicht legal sein
sollten, so war hier jedenfalls niemand, der nach meiner Einladungskarte
fragte. Deshalb öffnete ich die Tür. Der Luftdruck einer Lärmexplosion ließ
mich für den Bruchteil einer Sekunde erstarren und sog mich dann schlicht ins
Innere. Ich schlug die Tür hinter mir zu, wobei mir halb benommen der Gedanke
kam, daß sie nahezu hundertprozentig schalldicht sein mußte, um dieses
Wahnsinnsgetöse auf dem Korridor draußen nur noch als leises Murmeln erscheinen
zu lassen, und dann wurde mir klar, daß dies das Ende sein mußte. Irgendwann
während der letzten halben Stunde mußte ich gestorben sein, und dies hier war
die für Lieutenants, die während ihres unzüchtigen Lebens so gern weibliche
Wesen zu den Klängen schluchzender Melodien verführt hatten, reservierte
Spezialhölle.
    Die wilde Beat-Kakophonie tobte
mit bösartiger Wildheit gegen meine Trommelfelle an, während sich der Baum vor
mir wie ein konstant sich veränderndes Kaleidoskop in bunter Folge veränderte.
In einem Augenblick war alles tiefblau, dann chartreuse ,
dann ein unheimliches Scharlachrot, das sich in ein sanftes Bernsteingelb
verwandelte, bevor es zu einem galligen Gelb wurde. So ging es weiter und
weiter; und ich spürte, wie meine Sinne schnell außer Rand und Band gerieten.
Ich trat zur Seite, stolperte und wäre beinahe auf die Nase gefallen, streckte
aber noch rechtzeitig die Hand aus. Ihre Innenfläche schlug gegen die Wand,
glitt ein wenig ab, und dann umklammerten meine Finger plötzlich einen kleinen
Schalthebel. Ich drückte ihn fast automatisch herunter und ein paar Sekunden
später erstarb die Musik. Ein zweiter Schalthebel schien zuviel der Hoffnung zu sein, aber tatsächlich, es befand sich einer dicht neben dem
ersten. Ich drückte auch ihn hinab, und das Gewirbel des ewig wechselnden
Lichts wurde langsamer und langsamer, bis es schließlich in sanftem
Mitternachtsblau endete.
    Als ich mich an die Stille
gewöhnt hatte, die mir zuerst in den Ohren mehr weh tat als die wilde Beatmusik
zuvor, und ich wieder klar sehen konnte, blickte ich mich um. Der Raum war
sechs bis sieben Meter lang und ebenso breit, hatte eine niedrige Decke, und
der Boden war auf dieselbe Weise wie der Korridor draußen mit dicken Teppichen
belegt. Ich strengte meine Augen an, um die mitternächtliche Dämmerung zu
durchdringen und sah, daß sich außer mir noch etwas im Raum befand. Als ich
darauf zuging, entpuppten sich die vagen Umrisse als die eines riesigen Sargs,
der auf einem Gestell stand. Beim Nähertreten konnte ich erkennen, daß er mit
etwas, was wie gesteppter Satin aussah, ausgeschlagen war, und mit zwei
weiteren Schritten war ich nahe genug um festzustellen, daß der Sarg
keinesfalls leer war. Verdammt, dachte ich schaudernd, das farbige Licht und
die Musik waren wirklich eine höllische Form der Totenwache, für welche Leiche
auch immer. Dann hörte mein Verstand auf zu funktionieren und gab nur noch eine
Art lautlosen Schrei von sich, während da, wo mein Bückgrat zu sein pflegte, nur noch eine Tube Geleemasse war. Mein Hals zog sich
zusammen, während ich einfach dastand und zusah, wie sich die Leiche langsam
aufrichtete.
    Sie war nicht tot!

Weitere Kostenlose Bücher