Der Liebeswunsch
unsichtbar in der Luft schwebende Netze und setzen sich
späten Radfahrern und Inlineskatern, die die schwirrende Barriere durchstoßen, ins Gesicht und in die Augenwinkel. Die andere
Ausgeburt der Uferzone ist die sogenannte Rheinmücke, eine grasgrüne, fast durchsichtig wirkende Eintagsfliege, die in den
flußnahen Straßen in Wolken die Hängelampen der Straßenbeleuchtung umtanzt und als ein wirres Gewimmel an den Scheiben erleuchteter,
aber schnell geschlossener Fenster auf und ab flügelt, um nach und nach in den Nachtstunden zu sterben. Falls nicht ein leichter
Luftzug sie wegweht, liegen morgens die Reste auf den Fensterbänken.
Da keine Wolkendecke die Wärme festhält, kühlt die Nachtluft über dem Land allmählich ab. Die Stadt bewahrt in den Zimmern
ihrer Häuser noch lange die warme, stickige Luft. An den erleuchteten Fenstern sieht man, daß viele Bewohner sich später als
sonst schlafen legen. Wer einen Dachgarten hat, kann sein Lager in der milden Nachtluft unter einem sternklaren Himmel aufschlagen.
Und vielleicht steht täuschend nah zwischen schwarzen Baumwipfeln und über den plumpen Scherenschnitten der Dächer und Kamine
ein glasheller Vollmond, der die Narbenschatten seiner riesigen Krater zeigt. Allmählich gehen überall die Lichter aus. Doch manche Schläfer werden wieder wach, weil das Mondlicht
in ihre Träume scheint. Andere reden im Schlaf oder bewegen lautlos die Lippen in schwachen Eruptionen unverständlichen Sinns.
Bald kann sie nichts mehr bedrängen. Die dunklen Windstöße der Angst haben nachgelassen, und bald wird sie schlafen und vorübergehend
in verschwommene Träume entkommen. Die halbe Nacht hat sie getrunken und geschrieben, und langsam hat sich der Alkohol in
ihr ausgebreitet wie ein schattenhafter Diener, der im Haus herumgeht und die Vorhänge zuzieht, hinter denen die Welt ist.
Viele Blätter hat sie beschrieben und gleich wieder zerrissen. Auf dem letzten, das sie in der Hand hält, steht: »Ich starre
in das Dunkel, während mein Herzschlag die Sekunden zählt. Was ist geschehen? Wer hat das angerichtet? Alles könnte gut sein,
und alles ist vorbei.«
Sie greift den Stift und schreibt darunter: »Sag mir, daß alles nur ein böser Traum ist.« Und nachdem sie den Punkt gesetzt
hat, zerreißt sie das Blatt. Sie stürzt ein letztes Glas Wein hinunter, zieht sich aus und legt sich auf das Bett. Im Dunkeln,
bei geschlossenen Lidern, beginnt das Schwanken und Kreisen des kleinen Raumes, während draußen mit einem zarten rosigen Leuchten
der nächste Sommertag erscheint, den sie nicht sehen und nicht hören will. Aber es wird schon wieder warm, jeden Tag schneller.
Beim Frühstück im Radio Staumeldungen von den Autobahnen und danach eine heitere Melodie, ein Oldie aus den sechziger Jahren:
In the summertime when the weather isfine. In der anschließenden Presseschau tauchen vermehrt die Worte Sommerloch und Sommertheater auf. In den Nachrichten ein
schwerer Busunfall, verursacht durch menschliches Versagen, und vergebliche Großfahndungen der Polizei nach einem Triebverbrecher
und mehrfachen Mörder. Seit Tagen bringt die Zeitung neue Berichte, über Hundertschaften von Polizisten, die in der Gluthitze,
angetan mit schußsicheren Westen, ohne Erfolg Maisfelder und Tannenschonungen durchkämmt haben. Das übliche Sommerfoto der
Zeitung mit Kindern, die in einem Springbrunnen plantschen, kommt nicht gegen den Eindruck an. Wohl aber die blonde Nachbarin,
die im gelben Badeanzug auf ihrem Balkon erscheint und ihre Blumenkästen begießt. Städtische Sprengwagen wässern die neu gepflanzten
Straßenbäume, deren Laub schon zu vergilben beginnt, und die Lieferwagen der Getränkevertriebe sind pausenlos unterwegs, um
Kneipen, Kioske und Restaurants mit Nachschub zu versorgen. In den Büros schrillen die Telefone: »Wo bleibt eure Lieferung?
Wir sind bald auf dem Trockenen.« Auf allen Werbeflächen leuchten riesige goldhelle Biergläser mit weißer Schaumhaube und
glitzernder Tropfenspur. Daneben lachende, glückliche Gesichter. Alles, was der Mensch braucht, ist trinken, trinken.
Gegen ihren Willen wird sie wieder wach. Sie will es nicht, klammert sich an den Schlaf wie an eine schützende Hülle, die
ihr zu entgleiten droht. Ihr Gesicht ist mit klebrigem Schweiß bedeckt. Sie fühlt sich elend und schwach, und die bleierne
Schwere ihres Körpers hindert sie daran, sich zu bewegen. Sie kann nur
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