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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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kommen? Nein, das wollte sie auf keinen Fall. Lieber riskierte sie alles andere, als
     sich so unverständlich ängstlich zu zeigen. Vielleicht würde Paul auch gleich umkehren, wenn er Leonhards Wagen auf dem Grundstück
     sah.
    Allmählich wurde sie ruhiger. Wieder hatte sie das Gefühl, daß die Dinge unaufhaltsam ihren Lauf nahmen. Es war ein Gefühl,
     in dem sich Angst und Erwartung mischten und das sie dazu brachte, schneller zu fahren. Doch auf der Autobahn in Richtung
     Süden gab es ständig Fahrbahnverengungen und Fahrbahnwechsel, und der Verkehr schob sich immer dichter zusammen. Sie atmete
     auf, als sie die Autobahn endlich verlassen konnte. Und als sie auch noch die häßlichen Ortsdurchfahrten der kurzen Talstrecke
     hinter sich gebracht hatte und die kurvenreiche Straße von Katzenfurt nach Greifenstein hochfuhr, wo ihr kein Fahrzeug und
     kein Mensch mehr entgegenkamen, stellte sich das Gefühl der Erwartung wieder ein. Im Wald beiderseits der Straße erkannte
     sie Wege wieder, die sie bei früheren Aufenthalten gegangen war, bis plötzlich, nach einer letzten Kurve, vor ihr Viehweiden
     mit jungen, braunweißen Rindern und einige hundert Meter weiter der Ortsrand von Greifenstein auftauchten, weißgestrichene
     Häuser mit dunklen Dächern, teilweise verdeckt vom Grün der Gärten, und dahinter, in Seitenansicht, der bewaldete Burgberg
     mit der Ruine.Der Anblick überbot mit seinen vielen Einzelheiten ihr verblaßtes Erinnerungsbild, blieb aber in den ersten Sekunden immer
     noch imaginär, als sähe sie statt der Wirklichkeit deren bloße Reproduktion.
    Kurz vor dem Ortsschild mußte sie in den engen und steinigen Waldweg abbiegen, der nach mehreren scharfen Wendungen zu dem
     abgelegenen Haus führte. Die Regenfälle von zwei Jahren hatten die Fahrspuren noch tiefer ausgewaschen. Sonst war alles wie
     immer. Wie bei ihren früheren Ankünften war das Tor weit geöffnet, so daß sie ungehindert auf den von Bäumen und dichtem Gebüsch
     abgeschirmten Parkplatz fahren konnte. Auf der höchsten Stelle des Hanggrundstücks stand das braune Holzhaus mit den dunkelgrünen
     Schlagläden und der breiten, überdachten Bruchsteinterrasse, die von hier aus nicht einzusehen war. Dicht hinter dem Haus
     begann der Buchenwald. Nach den Abgaswolken über der Autobahn atmete sie beim Aussteigen begierig die frische, um einige Grad
     kühlere Waldluft ein.
    Sie fand die Schlüssel im vereinbarten Versteck, stieg mit ihren Gepäckstücken den Plattenweg zum Hauseingang hoch und mußte
     ausprobieren, welcher der beiden Schlüssel zur Haustür gehörte. Die Windfangtür mit dem zweiten Schloß hatte der Verwalter
     offen gelassen. Ebenso die Türen des Schlafzimmers und des Badezimmers, die an die Diele grenzten und auch mit Sicherheitsschlössern
     versehen waren, damit man sich in dem einsamen Haus nachts im Bett einigermaßen geschützt fühlen konnte.
    Sie stellte ihr Gepäck in der Diele ab und ging durch das bräunliche Dämmerlicht des Wohnraums zur Terrassentür, um das Haus
     zu öffnen. Das war immer das erste, was sie tat.Erst wenn sie die Schlagläden der Terrassentür nach außen aufgestoßen hatte, fühlte sie sich angekommen.
    Da war wieder alles: die breite überdachte Terrasse, der langgestreckte, zuerst steil abfallende, dann zum Tal hin auslaufende
     Wiesenhang, der wie eine Waldlichtung aussah, weil er ringsum von Bäumen und Gebüsch umgeben war, und, angestrahlt vom Licht
     der Nachmittagssonne, das Westwerk der Burg mit den beiden Türmen. Sie standen auf dem Burghügel wie ausgestellt und so übertrieben
     deutlich, als forderten sie von ihr die gewohnte Aufmerksamkeit. Es ist ein Postkartenbild, dachte sie, wandte sich ab und
     ging den Hang hinunter, der vor kurzem etwa bis zur Hälfte des Grundstücks, wo die beiden alten Kirschbäume standen, gemäht
     worden war. Die alten Bäume trugen immer noch ziemlich gut, wie sie von ihrer Freundin gehört hatte. Aber die Kirschen fielen
     Jahr für Jahr ungeerntet ins Gras. Nur einmal, vor drei Jahren, waren sie und Paul zur richtigen Zeit hier gewesen, und Paul
     hatte sich aus Gier und Langeweile derartig an den Kirschen überfressen, daß er zwei Tage krank gewesen war.
    Sie ging weiter durch das ungemähte hohe Gras mit seinen weichen Rispen und Ähren und der biegsamen Schlankheit der Halme,
     die an ihren Beinen entlangstrichen. Früher hatte sie manchmal Sträuße aus verschiedenen Gräsern zusammengestellt, die aber
     in der Vase

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