Der Liebeswunsch
interessieren, auch wenn sie alle einen leicht ironischen oder abfälligen Zungenschlag haben, je nachdem, wie die Leute mich
einschätzen. Natürlich wäre eine schroffe Antwort für sie der untrügliche Beweis meiner Betroffenheit. Also nehme ich es mehr
oder minder achtlos hin, wenn mir, eingehüllt in andere, weitläufigere Erzählungen, eine kleine Nachricht über Paul zugesteckt
wird. Es sind Sätze, die mit »übrigens« beginnen. »Übrigens ist es mit Paul und Sibylle schon wieder aus. Jetzt hat er sich
einer jungen Krankenschwester zugewandt. Wir sind alle gespannt, wer die nächste ist.«
»Ist das nicht seine Privatsache?« fragte ich. »Nun ja«, sagte die Kollegin, die es mir erzählt hatte. »Aber es schadet seiner
Position. Das muß er wissen. Es geht ihm inzwischen ein gewisser Ruf voraus, und viele Kollegen halten Abstand zu ihm. Seit
er nicht mehr mit dir zusammen ist, scheint er ziemlich aus den Fugen zu sein. Bloß, wer soll es ihm sagen? Irgendwann, fürchte
ich, wird es der Chef tun. Kannst du nicht mal mit ihm reden?« »Nein, ich am wenigsten«, antwortete ich und gab damit wieder
etwas preis, das niemanden etwas anging, aber anscheinend viele interessierte. Ich zeigte die Kluft, die zwischen uns entstanden
ist. Gehofft hatte ich, unsere Trennung, die von mir ausgegangen war, könne sichschließlich doch für uns beide als eine vernünftige Entscheidung bewähren und auch von allen anderen so wahrgenommen werden.
Danach sieht es aber nicht aus. Paul ist umgeben von kritischen und hämischen Blicken. Nach allem, was ich über ihn zu hören
bekomme, macht er den Eindruck eines Mannes, der aus dem Gleichgewicht ist. Frauen sollen die Wunden heilen, die Frauen ihm
geschlagen haben, und dabei holt er sich neue Wunden. Sibylle, die mir bislang aus dem Weg gegangen ist, obwohl sie eigentlich
keinen Grund dazu hat, denn soviel ich weiß, hatte ich mich schon von Paul getrennt, als die beiden ihre kurze Affäre begannen
– Sibylle war für ihn wohl nicht gerade ein sanftes Ruhekissen. Sie ist keine Frau, bei der sich ein angeschlagener Mann erholen
könnte. Daß er danach, vielleicht sogar gleichzeitig, ein Verhältnis mit einer jungen Krankenschwester begann, war in meinen
Augen eine erneute Flucht in die Arme einer ergebenen, ihn bewundernden jüngeren Frau. Es wiederholte sein Verhalten mir und
Anja gegenüber. Doch vielleicht täusche ich mich, weil ich nach einer Erklärung für das Scheitern meiner Ehe suche und mir
daran liegt, Anjas Rolle in Pauls Leben ein Stück niedriger einzustufen. Ich werde es nie erfahren, denn sie sind nicht mehr
dieselben. Anja schon gar nicht. Und alles, was Paul jetzt macht, ist wahlloser, zufälliger, anspruchsloser. Gerade das mag
ihm helfen. Er tut scheinbar dieselben Sachen, ohne sich noch einmal auf etwas einzulassen. Er wollte aber an unserer Ehe
festhalten, entweder weil er glaubte, sie zu brauchen, um nicht abzurutschen, oder weil sie für ihn komfortabel war. Wahrscheinlich
beides.
Manche Trennungen sind schwer. Manche nur schwierig. An die Schwierigkeiten hatte ich kaum gedacht. Ich hatteeinfach vorausgesetzt, daß sich alle praktischen Probleme vernünftig lösen lassen. Wir waren praktisch nicht voneinander abhängig,
aber aneinander gewöhnt und gebunden, und das habe ich für das einzige Problem gehalten. Als ich es dann für mich allein entschieden
hatte, damals vor über einem Jahr, als ich aus Greifenstein zurückkam, verkannte ich die Schwierigkeiten immer noch. Sie waren
nur Nebenumstände ohne wirkliche Bedeutung. Ich hatte offenbar eine Szene im Kopf, in der sich beide Partner aussprachen,
gemeinsam ihre Trennung beschlossen und dann auseinandergingen, jeder in eine andere Richtung in ein neues oder jedenfalls
anderes Leben.
So geschah es natürlich nicht. Ich hatte meine Rückkehr telefonisch für den Abend angekündigt, aber nur auf den Anrufbeantworter
sprechen können, und fand zu Hause Pauls Nachricht vor, daß er leider Nachtdienst habe. Dazu hatte er, was eher ungewöhnlich
war, einen sommerlichen Blumenstrauß zu meiner Begrüßung auf meinen Schreibtisch gestellt. Ich hatte mir während der Rückfahrt
vorgestellt, daß Paul zu Hause auf mich warte, wahrscheinlich in dem Gefühl, daß sich eine Entscheidung über unsere Ehe anbahne,
und so erlebte ich die Heimfahrt von Greifenstein als einen langen Anlauf auf die Minute der Wahrheit zu. Ich war entschlossen,
mich
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