Der Liebeswunsch
nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten, genauso wie ich es bei meiner Trennung von Leonhard gemacht hatte.
Aber Paul war nicht da. Ich war so enttäuscht und verblüfft, daß ich an einen Schachzug glaubte, mit dem er meine Absichten
durchkreuzt hatte. Nun mußte ich mindestens einen Tag warten, bis sich wieder eine ähnliche Situation ergab, wie ich sie mir
für das Gespräch erhofft hatte, und ichfürchtete, daß meine Entschlossenheit bröckeln könne. War es überhaupt Entschlossenheit? Ich blickte auf den Blumenstrauß,
der viel zu groß geraten war, so als gelte es, ein Jubiläum zu feiern. Im Augenblick rührte mich das. Mein Groll war verflogen.
Und um meinen Entschluß zu festigen, fand ich keinen weiteren Grund mehr als die Tatsache, daß ich mich nach inneren Kämpfen
inzwischen entschlossen hatte, unsere Ehe zu beenden, und das gegenüber Leonhard auch schon, ich muß wohl sagen – proklamiert
hatte. Im Augenblick war das mein Hauptargument. Ich wollte nicht ins Schlingern geraten und mir nicht widersprechen. Schließlich
sagte ich mir: Wenn das Gründe sind, die du ernsthaft erwägst, ist die Sache sowieso entschieden. Sonst nämlich hätte dein
Gefühl sie einfach vom Tisch gefegt. – Aber das konnte immer noch passieren, wenn ich Paul sah.
Da ich tagsüber Dienst hatte, sahen wir uns erst am späten Nachmittag, als ich nach Hause kam, nun wieder völlig entschlossen,
das abschließende Gespräch zu führen. Erst im Laufe des Tages hatte ich richtig begriffen, daß ich nur noch ein Argument hatte,
mich von Paul zu trennen: Es ging nicht mehr darum, daß er mich mit Anja betrogen hatte. Denn das war vermutlich schon zu
Ende oder würde zu Ende gehen. Es war auch nicht der Gedanke, er könne bald wieder eine andere Liebschaft beginnen. Denn ich
fühlte mich sicher genug, das abzuwarten und erst zu bewerten, wenn ich wußte, was es war. Nein, ich hatte keinen Grund außer
dem einen einzigen: Ich wollte nicht mehr mit ihm zusammenleben.
Das war schwer zu erklären. Denn es hatte auch nichts mit Abneigung oder fortschreitender Entfremdung zu tun. Paulwar mir durchaus vertraut geblieben. Ich war nur erfüllt von dem Bedürfnis, mich ganz auf mich selbst zu konzentrieren und
etwas Neues zu beginnen. Das hörte sich für Paul vermutlich wie eine unverständliche Laune und exklusive Egozentrik an. Ich
war ja in der luxuriösen Situation, mit dem Verkauf des Marienburger Hauses genug Geld zu bekommen, um mir eine eigene Praxis
einzurichten und eine angenehme, auf mich zugeschnittene Wohnung leisten zu können. Doch erst der Gedanke, mich von Paul zu
trennen, hatte diese Vorstellung in mir wachgerufen. Mit Paul zusammen wäre ich in der komfortablen Beschaulichkeit des großen
Hauses geblieben, in dem ich aufgewachsen war, immer noch umgeben von Herkunft und Kindheit und trotz Beruf und Reisen in
ferne Teile der Welt nie ganz daraus entlassen. Aber auch so wollte ich es ihm nicht sagen. Denn er konnte antworten: Verkauf
das Haus, und wir fangen zusammen etwas Neues an. Ich mußte ihm einfach den Schmerz antun, ihn den Beständen meines alten,
abgelebten Lebens zuzurechnen.
Paul wirkte auf mich unsicher und nervös, als er mich begrüßte, doch er gab sich den Anschein von Unbefangenheit, und ich
dachte, er rechnet mit allem und wartet ab.
»Wie war es denn im alten Greifenstein?« fragte er.
Das war keine schlichte Eröffnungsfrage, sondern eine, die so tat, als habe er vergessen, daß ich dorthin gefahren war, um
allein zu sein, und im ersten Augenblick war ich bereit, auf sein Angebot einzugehen und über das Grundstück, die Terrasse
und den Burgblick mit ihm zu plaudern. Dann jedoch sagte ich: »Du weißt doch, weshalb ich dahin gefahren bin.«
Er nickte. Er sah mißmutig, fast schwermütig aus. Er hatte das Unabänderliche, das er abwehren wollte, nicht aufhalten können
und hörte mir nun zu, wie ich ihm erklärte, daß ich unsere Ehe beenden wolle, weil sie für mein Gefühl an ihr Ende gekommen
sei. Und weil er immer noch schwieg, fühlte ich mich genötigt, weiterzureden und einige Rechtfertigungen und Begründungen
nachzuliefern. Vor allem wollte ich ihm das Argument nehmen, daß sein Verhältnis zu Anja beendet sei, und sagte, es sei eigentlich
nur noch ein Anlaß für mich gewesen, über alles nachzudenken. Dabei hätte ich in mir den Wunsch entdeckt, noch einmal einen
neuen Anfang zu machen.
Noch immer sagte er nichts. Und
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