Der Liebeswunsch
diese Sturheit oder Lethargie verführte mich zu der Phrase, auch er würde bestimmt noch eines
Tages entdecken, daß ein neuer Anfang für ihn gut gewesen sei.
Darauf antwortete er: »Halte dich bitte zurück mit Meinungen darüber, was für mich gut wäre.«
Ich glaubte, Leonhard sprechen zu hören, als er das sagte. Wahrscheinlich war diese gestelzte Ausdrucksweise, die für Paul
überhaupt nicht typisch war, ein männliches Stereotyp: der Versuch, in bedrängenden Situationen eine würdige Haltung zu zeigen.
Aber es war auch der einzige Augenblick, in dem ich Pauls Selbstbehauptung spürte. Es sei denn, man mußte die Stummheit, mit
der er alles hinnahm, als verweigerte Zustimmung verstehen. Er hatte keine Lust zu kämpfen. War daran gewöhnt, umworben und
nicht verabschiedet zu werden.
Als wollte er mir die Lebensfremdheit meines Vorhabens vor Augen führen, fragte er mich, wie ich mir unsere Trennung vorstelle.
Er habe ja noch keine Wohnung. Er müsseerst eine suchen, die ihm gefalle und die er bezahlen könne. Wie sollten wir die Zeit überbrücken, bis er eine geeignete Wohnung
gefunden hätte?
Er überrumpelte mich mit dieser Frage, auf die ich nicht vorbereitet war. Ich hatte mit Einwänden, Schuldzuweisungen und neuen
Versöhnungsversuchen gerechnet und auf die praktischen Fragen noch keine Antwort. Und so sagte ich, um sein überraschendes
Eingehen auf meinen Wunsch nach Trennung und Scheidung zu honorieren, selbstverständlich könne er solange im Haus wohnen bleiben.
Wir stritten uns dann darum, wer aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausziehen und wer in eins der Gästezimmer umziehen solle.
Und er bestand darauf, daß er das sein würde. Schließlich war das Haus mein Haus, und er sei eben nur ein Gast im Haus gewesen.
Auch darin widersprach ich ihm. Es war ein läppischer Streit um Worte, hinter dem sich ein tieferer Konflikt verbarg. Damit
mußten wir nun leben, solange Paul noch im Haus blieb. Übrigens war das Gästezimmer, in das Paul einzog, das Zimmer, in dem
Anja gewohnt hatte, als sie unser Haus einige Wochen lang bewacht hatte. Ich weiß nicht, ob er daran dachte, und schon gar
nicht, in welchem Sinne. Es war ja auch egal.
Von nun an war alles anders. Wir lebten in zwei verschiedenen Welten, die sich kaum noch berührten. Paul verhielt sich auf
einmal wie ein Untermieter. Er kam und ging, ohne es mich wissen zu lassen, und verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer.
Manchmal trafen wir uns in der Küche, wo sich jeder etwas zu essen machte. Manchmal aßen wir dann auch dort. Die Wohnräume
benutzte er nur, wenn ich ihn dazu aufforderte. Dauernd gab er mir durch sein Verhaltenzu verstehen, daß er mich nicht stören wolle. Doch das war so auffällig und demonstrativ, daß es mich mehr störte, als wenn
er sich weiter in gewohnter Selbstverständlichkeit im Haus bewegt hätte. Ich verstand es nicht, vermied es aber, die alte
Vertrautheit unseres Umgangs wiederherzustellen, weil er daraus vielleicht falsche Schlüsse gezogen hätte. Er sollte nicht
annehmen, daß alles wie früher sei. Aber ich fand es auch albern, daß er sich häufig ohne Not wie ein Fremder benahm, und
ging kommentarlos darüber hinweg. Nach einiger Zeit fragte ich ihn, ob er mit seiner Suche nach einer passenden Wohnung weitergekommen
sei. Er antwortete: »Jaja, es tut sich was«, eine Antwort, die in mir den Verdacht weckte, daß er noch nichts unternommen
hatte. Ich hatte mir inzwischen in einem der Rohbauten unseres Viertels eine Wohnung gesichert, die in einem Vierteljahr bezugsfertig
sein sollte. Ich wollte, daß er vorher auszog, aus praktischen Gründen, aber auch, um die Unwirklichkeit unseres Nebeneinanderlebens
zu beenden. Er muß das ähnlich empfunden haben, vermutlich sogar viel schärfer, da er sich in einer schlechteren Position
befand. Jedenfalls überraschte er mich in der folgenden Woche mit der Mitteilung, er ziehe Anfang nächsten Monats in eine
neue Wohnung ein und wolle bis dahin in Urlaub fahren. Er nehme nur Handgepäck mit. Alles, was ihm sonst noch gehöre, wolle
er in einem Zimmer zusammenstellen und nach seinem Einzug abholen lassen. Plötzlich war es soweit. Unser gemeinsames Leben
war abrupt zu Ende.
An diesem Abend gingen wir zum letzten Mal zusammen essen. Ich hatte ihn dazu eingeladen. Und wir bemühten uns beide, daraus
einen harmonischen Abend zu machen,an den wir gerne zurückdenken würden. Wir schafften es
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