Der Liebeswunsch
jemals vorher
bedacht zu haben, daß dies die Gelegenheit war, unser schwieriges Verhältnis zu entkrampfen. Leonhard war nun nicht mehr unser
Anhängsel, ein lieber alter Freund im Schatten unserer Ehe, sondern ein gleichrangiger Partner. Er hatte Symmetrie hergestellt
und damit ganz neue Möglichkeiten des freundschaftlichen Umgangs geschaffen.
Es ist vielleicht nur mit unseren Schuldgefühlen zu erklären, daß wir eine solche Wendung nie für möglich gehalten haben.
Wir haben Leonhard immer nur an unserer Seite gesehen. Er war jemand, den wir verletzt hatten und um den wir uns kümmern mußten.
Ursprünglich war ich Leonhards Freundin gewesen und Paul sein bester Freund, bis Paul seine Familie verließ, um mich zu heiraten,
für Leonhard, der die Entwicklung nicht hatte sehen wollen, ein schwererSchock. Er sagte später, er sei sich vorgekommen, als sei er in eine Drehtür hineingeraten, die ihn einmal herumgewirbelt
und dann aus seinem Leben hinausgeworfen habe. Plötzlich habe er draußen gestanden. Das wollten wir so nicht zulassen. Und
so haben wir ihn wieder in unser Leben hineingeholt als unseren freundschaftlichen Begleiter. Daß er jetzt selbst heiraten
wollte, war längst fällig gewesen und ein notwendiger Befreiungsakt. Dem haftete zwar in unseren Augen etwas Abstraktes und
Theoretisches an, weil wir uns die Verbindung dieser beiden Menschen nicht vorstellen konnten. Doch die Erleichterung, die
wir empfanden, ließ uns von Anfang an zu Mentoren dieser sicher nicht einfachen Ehe werden.
Das galt vor allem für mich. In mir rührte sich ein mächtiger Wiedergutmachungswunsch. Denn ich hatte Leonhard mit seinem
Freund hintergangen und Paul veranlaßt, seine Familie zu verlassen. Ich war damals fest davon überzeugt gewesen, daß jeder
Mensch das Recht habe, seinem Gefühl zu folgen und um sein Glück zu kämpfen, auch gegen die Hindernisse schon bestehender
menschlicher Verbindungen, die eben dann alle noch einmal auf den Prüfstand kamen. Der Übergang von dem alten zu einem neuen
Leben war eine furchtbare Zeit der Heimlichtuerei und des Zweifels, in der jeder alleine war. Paul konnte sich nicht von seiner
Familie trennen, obwohl er mir versicherte, daß er es wolle. Mir dagegen war schon früher klargeworden, daß meine Beziehung
zu Leonhard keine Zukunft hatte, und es drängte mich, ihm das zu sagen, um nicht Gefühle vortäuschen zu müssen, die ich nicht
mehr empfand. Doch Paul beschwor mich mehrfach zu warten, bis er mit seiner Frau gesprochen habe.
Wir arbeiteten damals im selben Krankenhaus – ich als Stationsärztin in der Inneren Medizin und Paul als Oberarzt in der Chirurgie.
Mittags trafen wir uns manchmal zu einem kleinen Imbiß in einem nahe gelegenen Café, das wir unseren konspirativen Ort nannten.
Dort besprachen wir alles immer wieder und drehten uns im Kreise. Und eines Tages sagte Paul mit jener Spitzfindigkeit, die
aus der Verwirrung entsteht: »Gesetzt den Fall, ich trenne mich nicht von meiner Familie, jedenfalls nicht so bald, dann brauchst
du Leonhard doch nichts über uns zu erzählen, wenn du dich von ihm trennst.« Ich weiß noch, daß ich diesen Gedanken aus Pauls
Perspektive verständlich fand. Mir kam er vor wie ein Verrat. Plötzlich sah ich alles mit einer Klarheit und Kälte, als stünde
ich außerhalb aller Widersprüche. Das war natürlich erst recht eine Täuschung. Doch in diesem Augenblick glaubte ich es.
»Gut, daß du es mir sagst«, antwortete ich. »Bis jetzt habe ich mir eingebildet, wir hätten nur eine einzige Möglichkeit.
Aber es gibt verschiedene, vor allem für dich.«
»Nein, es gibt nur Probleme«, sagte er.
Ich sah, wie zermürbt er war, und sagte, es trage nicht zur Lösung der Probleme bei, wenn man sich dauernd im Kreise drehe.
Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, ihm Bedingungen zu stellen. Vielleicht war es nur die Einsicht, daß es das einzige
war, was ich noch tun konnte.
»Hör zu«, sagte ich, »ich trenne mich auf alle Fälle von Leonhard. Das ist notwendig. Ich weiß das letzten Endes durch dich.
Aber ich trenne mich auch von dir, wenn du dich nicht zwischen deiner Familie und mir entscheiden kannst. Denn dann stimmt
etwas nicht mit uns.«
»Was heißt denn das schon?« warf er ein. »Was stimmt denn überhaupt in der Welt?«
Ich ging über diesen Einwand hinweg. Es war eine dieser Nebelkerzen, die er manchmal warf, wenn er nicht mehr aus noch ein
wußte. Auch daß
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