Der Liebeswunsch
einzuziehen, damit wir sicher sein konnten, daß nichts
Unvorhersehbares mehr dazwischenkam. Außerdem wollten wir sie noch ein bißchen besser kennenlernen. Doch damit kamen wir nicht
weit. Nach einem improvisierten Abendessen zu dritt und einem Gespräch, das hauptsächlich aus unseren Fragen nach ihrem Studium und ihren schlichten und
bescheidenen Antworten bestand, zog sie sich bald in ihr Zimmer zurück. Das konnte höfliche Zurückhaltung sein – vielleicht
nahm sie an, daß wir vor unserer Reise noch einiges zu tun hatten –, oder sie hatte sich durch unsere Fragen bedrängt gefühlt.
Am nächsten Tag, im Taxi zum Flughafen, sprachen wir noch über sie. Wir waren uns einig, daß sie vertrauenswürdig sei und
nicht unsere silbernen Löffel stehlen würde. In dieser Hinsicht konnten wir ihr das Haus unbesorgt für vier Wochen überlassen.
Doch wir wußten nicht so recht, wer sie eigentlich war. Paul nannte das »die Undeutlichkeit ihrer Person«. Es war ein erster
provisorischer Ausdruck für das, was sich später immer wieder zeigte. Sie schien manchmal in unwirklichen Situationen zu leben.
Oder besser wäre es zu sagen, in einer unbestimmten Leere, in der sie sich selbst abhanden kam.
Ich glaube, daß manche Männer das reizvoll fanden. Es ließ Retterphantasien in ihnen entstehen. Sie wirkte auf sie wie eine
Frau, die darauf wartete, daß jemand ihr verborgenes Wesen erriet. Doch sobald sie sich definiert fühlte, begann sie sich
zu entziehen. Paul meinte später einmal, daß sie zwar anpassungswillig, aber in einem fundamentalen Sinn nicht vertragsfähig
sei. Das war vor allem auf ihre Ehe mit Leonhard gemünzt, die für beide eine Falle war. Paul und ich haben ihnen eifrig geholfen,
diese Falle wohnlich einzurichten.
Bei unserer Heimkehr fanden wir das Haus in einem ordentlichen Zustand vor. Unsere Haushilfe war am Tag vorher dagewesen, und Anja hatte für den ersten Tag eingekauft und frische Blumen in die Vasen gestellt. In der Garderobe bei der Haustür
standen schon ihre gepackten Koffer. Sie hatte anscheinend nicht viel zu erzählen, und wir hatten eine lange anstrengende
Reise hinter uns und wollten erst einmal duschen und uns umziehen. Ich gab Anja noch unser Geschenk, einen seidenen Kimono,
den ich in Bangkok gekauft hatte, und die unerwartete Herzlichkeit, mit der sie sich bedankte, ließ mich einen Augenblick
bedauern, daß sie so abrupt aus unserem Leben verschwand. Paul holte den Wagen aus der Garage, um sie nach Hause zu fahren.
Er war noch nicht lange wieder zurück, als Leonhard anrief und fragte, ob wir gut angekommen seien. Er sagte, er würde gerne
am späten Nachmittag für eine Stunde kommen, falls wir nicht zu müde seien. Wir waren im Augenblick mehr aufgekratzt als müde,
aber am Nachmittag würde das sicher anders sein. Und so antwortete ich: »Ja, gut. Aber nicht länger. Sonst besser morgen abend.
Dann kommst du zum Abendessen zu uns.«
Darauf hätte er eigentlich eingehen müssen. Er sagte aber:
»Ich will euch nur etwas mitteilen. Eine herausragende Neuigkeit.«
»Das hört sich spannend an«, sagte ich.
Wir konnten uns beim besten Willen nicht vorstellen, um was es sich handelte. Für uns war Leonhard eine festumrissene Person,
bei der mit großen Überraschungen nicht zu rechnen war.
Er kam herein, wie immer mit der lauten freundschaftlichen Herzlichkeit, die er sich für unsere Begrüßungen angewöhnt hatte,
als die stets erneuerte Bestätigung dafür, daß mit uns dreien alles im reinen sei. Er, der in unserem Freundschaftsbund einmal der Verlierer gewesen war, stimmte immer noch gewohnheitsmäßig den Ton der Versöhnung an, und Paul und
ich stimmten gewohnheitsmäßig darin ein. Ja, wir waren Freunde geblieben und sahen das als eine gemeinsame Errungenschaft
an. Mit den Jahren aber habe ich begriffen, daß diese Beziehung mit ihren Ritualen und eingemauerten Empfindlichkeiten für
uns alle ziemlich anstrengend war.
Leonhard muß das auch so gesehen haben. Das zeigte sich schon in der Eile, mit der er uns die völlig unerwartete Neuigkeit
präsentierte, er und Anja hätten sich während unserer Abwesenheit verlobt und wollten im kommenden Monat heiraten. Es war
offenbar für ihn der Moment der Rehabilitation. Und für uns eine spontane Erleichterung. In diesem trickhaft wirkenden Moment,
als Leonhard nach dem ersten Begrüßungsschluck den Deckel seines Geheimnisses lüftete, wußten wir beide, ohne es
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