Der Liebeswunsch
ich nur dankbar sein.
Leonhard freute sich, mich zu sehen, was mich einen Augenblick irritierte. Ich wußte, daß ich ihn verletzen mußte, sagte mir
aber, daß er daran mitschuldig sei, weil er beharrlich seine Augen vor allem verschlossen hatte, fast so, als habe er allen
möglichen Problemen Zeit lassen wollen, sich von selbst zu verflüchtigen. Das hatte in mir das Gefühl bestätigt, er nehme
mich überhaupt nicht wahr, versuche statt dessen unsere Beziehung einzupendeln auf ein Mittelmaß verläßlicher freundlicher
Empfindungen. Und in diesem Ton fragte er mich auch: »Nun, wie war es in London? Was hast du erlebt?«
Sofort antwortete ich, wie ich es mir zurechtgelegt hatte: »Ich habe mich in London mit Paul getroffen.«
Ich sah seine Überraschung, die in Verständnislosigkeit überging.
»Mit Paul?«
Ich sagte erst einmal »ja«, um Zeit zu gewinnen. Alles kam jetzt darauf an, ruhig und sachlich zu bleiben, und so antwortete
ich kurz: »Er kam nach London, um mir zu sagen, daß er sich von seiner Familie trennen wird.«
Ich glaubte in diesem Moment zu erkennen, daß Leonhard schon alles verstanden hatte. Doch er wollte es wohl noch nicht wahrhaben
und verschanzte sich hinter weiterenFragen. »Paul will sich von seiner Familie trennen? Wieso? Und warum kommt er nach London, um es dir zu erzählen?«
»Weil er mit mir zusammenleben will.«
Nun war alles schon gesagt. Alles weitere waren nur noch Erläuterungen. Das Ganze hatte kaum länger gedauert als eine Injektion.
Ein kurzer Stich. Dann betupfte man die Einstichstelle und klebte ein Pflaster darüber. Der kurze Schmerz war schon verflogen.
So kam es mir vor, bis ich die Veränderung in Leonhards Gesicht sah. Er war erbleicht, und seine Lippen hatten sich wie bei
einem bitteren Geschmack zu einem Strich zusammengepreßt. Seine Pupillen waren erstarrt und fixierten mich. Was er dann sagte,
erschien mir wie eine Formel aus dem Gerichtsverhör: »Das hat ja wohl eine Vorgeschichte.«
Anscheinend wollte er mich nicht direkt fragen, was ich damit zu tun habe, sondern mir nahelegen, von mir aus alles zu erzählen.
Es war ein erster vorsichtiger Schritt der Annäherung an einen schockierenden Sachverhalt, der schon offensichtlich, aber
für ihn noch nicht faßbar war. Für einen Menschen wie Leonhard war es zweifellos das Schlimmste, erkennen zu müssen, daß ich
und Paul ihn schon längere Zeit hintergangen hatten. Das wurde auch nicht besser, als ich ihm erklärte, ich hätte schon früher
mit ihm sprechen wollen, aber Paul sei immer noch unsicher gewesen, wie er sich entscheiden würde, und habe mich mehrfach
gebeten, noch nichts zu sagen.
»Also hast du so getan, als sei alles in Ordnung.«
Ich antwortete, ich wisse, daß das falsch gewesen sei, aber mir sei auch nicht sofort alles klar gewesen.
»Was in dir vorgegangen ist, will ich lieber nicht so genau wissen«, sagte er.
Ich sah ihm an, wie der Haß und der Selbsthau in ihm hochkochten, und fühlte mich ratlos.
Schließlich sagte ich: So falsch und so unklug ich mich auch verhalten hätte, ich glaubte nicht, daß es verantwortungslos
war.
»Das mußt du mir bitte erst erklären«, sagte er.
»Es wäre mit uns auf die Dauer nicht gutgegangen, Leonhard.«
»Und wie bist du zu dieser privilegierten Erkenntnis gekommen?«
»Wieso privilegiert?«
»Ich habe diese Erkenntnis nicht gehabt.«
»Ich weiß. Aber das war ein Teil unseres Problems.«
»Auch das mußt du mir erklären.«
»Du hast mich überhaupt nicht gesehen, Leonhard.«
»Eine feinsinnige Behauptung. Sagt man das heutzutage so?«
Ich antwortete nicht. Es war offensichtlich, daß er mich nicht verstehen wollte und einfach nur um sich schlug. Wenn er sich
verletzt fühlte, nahm seine Antwort meistens die Form eines höhnischen Sarkasmus an.
»In meinem Verständnis«, sagte er, »beruht das Zusammenleben von zwei Menschen immer auf der Übereinkunft, manche Dinge zu
übersehen.«
»Das sollten wir jetzt auch tun«, sagte ich. »Erst einmal trennen wir uns jetzt. Aber ich hoffe, nicht für immer.«
Ich überlegte, ob ich ihn zum Abschied umarmen solle, wagte es aber nicht. Er begleitete mich zur Tür. Wir gaben uns die Hand.
»Ich glaube, ich verstehe dich noch eher als Paul«, sagte er.
Ich antwortete, daß Paul unverändert an ihm hänge und seinen Konflikt, in den er wegen uns geraten sei, nicht habe lösen können.
»Das braucht viel Zeit, und es geht auch nicht ohne dich.«
Ich
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