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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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war untergetaucht und hatte eine erstaunliche
     kriminelle Karriere als Bankräuber begonnen. Er hatte sich auf kleine und mittlere Bank- und Sparkassenfilialen in Süddeutschland,
     später auch in West- und Norddeutschland spezialisiert, die er, getarnt durch eine schwarze Strumpfmaske, heimgesucht hatte,
     um danach mit der Beute sofort ins Ausland zu verschwinden. Er hatte an wechselnden Orten in den Niederlanden, in Belgien,
     in Frankreich und Spanien in kleinen Pensionen und Hotels gewohnt und war nur noch zu seinen Recherchen und Überfällen nach
     Deutschland eingereist. In den beiden letzten Jahren vor seiner Verhaftung hatte er aber auch wieder Kontakt zu seiner Familie
     aufgenommen, die er mit Anteilen aus der Beute unterstützt hatte. Weil das Auskundschaften neuer Tatorte der schwierigste
     Teil seiner Arbeit war und ihn zu längeren Aufenthalten in Deutschland nötigte, war er schließlich dazu übergegangen, Filialenzu überfallen, die er schon von früheren Überfällen kannte. Dabei hatte sich allmählich ein Muster der Wiederholung ergeben,
     das den Fahndern ermöglicht hatte, ihm eine Falle zu stellen. Ohne Widerstand zu leisten, hatte er sich verhaften lassen.
    Von seiner Beute konnten noch knapp sechstausend Mark sichergestellt werden. Alles andere war angeblich durch seine ständigen
     Ortswechsel und sein jahrelanges Hotelleben und vor allem durch erneute hohe Spielschulden dahingeschmolzen. Diese verlustreichen
     Besuche von Spielkasinos waren stets der Auslöser für neue Banküberfälle gewesen, was so aussah, als habe er sich auf diese
     Weise immer wieder selbst unter Druck gesetzt.
    Daß Kriminelle ihr erbeutetes Geld bald wieder verspielten, war ein bekanntes psychologisches Phänomen, das Züge einer unbewußten
     Selbstbestrafung und selbstauferlegten Buße hatte. Laut kriminalpsychologischer Theorie versuchten die Täter ihre Schuldgefühle
     zu mindern, indem sie sich von dem unrechtmäßig erworbenen Geld wieder trennten. Er glaubte nicht an solche Spitzfindigkeiten,
     vor allem nicht, wenn er sie gehäuft in den psychiatrischen Gutachten wiederfand. Viel wahrscheinlicher war doch, daß die
     großen Spielschulden, von denen Liebstöckel bei seinen Vernehmungen durch die Polizei und den Untersuchungsrichter erzählt
     hatte, Erfindungen waren, mit denen er das Verschwinden des Beutegeldes einleuchtend zu erklären versuchte. Dieser Mann war
     ein intelligenter Täter. Er hatte der Fahndung, gewissermaßen als Abfindung, einen angeblichen Beuterest von sechstausend
     Mark angeboten, um mindestens die hundertfache Summe unbehelligt verschwinden lassen zu können. Laut den Vernehmungsprotokollen war ein solcher Verdacht zwar in der einen oder anderen Frage angeklungen, doch offenbar nicht energisch verfolgt worden.
     Wo allerdings sollte die Fahndung auch suchen, solange man keine Hinweise aus dem Ausland bekam? Das war allerdings eine Schwierigkeit,
     mit der in diesem Fall zu rechnen war. Dem erfahrenen Geschäftsmann Liebstöckel mußte man zutrauen, daß er im Ausland verdeckte
     Anlagemöglichkeiten für sein Beutegeld ausgekundschaftet hatte. Im übrigen war es typisch für diese Sorte von Tätern, daß
     Liebstöckel sich bei seiner Verhaftung erleichtert gezeigt hatte. In seinem Antrag auf Haftverschonung ging der Verteidiger
     darauf ein und wollte darin das keimende Pflänzchen einer Hoffnung auf Resozialisation des Beschuldigten erblicken. Nun ja,
     dieser Antrag war nichts als rechtsanwaltliche Routine. Er war entschlossen, ihn abzulehnen wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr.
     Seine beiden Beisitzer, Herrn Retsch und Dr. Kemna, konnte er sicher dafür gewinnen, sich seinem Urteil anzuschließen, zumal
     Dr. Kemna gerade erst zum Richter auf Probe ernannt worden war.
    Er schloß die Akte und blickte auf seine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde bis zum Verhandlungstermin. Da konnte er rasch
     noch die Schreibmappe durchblättern und das Protokoll der letzten Sitzung des Schwurgerichts lesen. Aber in der Mappe lagen
     nur die Briefe, die er unterschreiben mußte, und dahinter die Mitteilung, daß das Protokoll wegen Überlastung des Sekretariats
     erst einen Tag später zur Vorlage käme.
    Was stand heute in der Zeitung? Ein Bauskandal, eine umstrittene Firmenzusammenlegung, Personalprobleme des örtlichen Fußballvereins
     – nichts, was ihn im Augenblick interessierte. Sollte er noch einmal zu Hause anrufen und Anja fragen, wie es ihr ging? Nein, das war nicht üblich

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