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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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sehen! Bitte! Nur ein paar Minuten!«
    »Wie denn? Wo denn?« fragte er ungehalten.
    »Wo du willst. Ich komme überall hin.«
    Er blickte auf die Uhr.
    »Tut mir leid, Anja. Ich muß jetzt in die Klinik.«
    »Gut«, sagte sie, »dann fahr doch auf den Besucherparkplatz. Da komme ich dann auch hin und steige kurz zu dirins Auto. Ich bringe dir auch den Brief mit, den ich dir gestern abend geschrieben habe.«
    Er wollte nein sagen, weil es eine peinliche und sinnlose Verabredung war, bei der er von niemandem gesehen werden wollte.
     Aber als sie ihn anflehte, sie nicht wegzustoßen, schien es ihm besser, auf sie einzugehen und zu versuchen, sie zu beruhigen,
     damit sie nichts Unüberlegtes tat.
    »Gut«, sagte er, »ich bin in einer halben Stunde da und versuche, in einer der hinteren Reihen zu parken. Ich habe aber nur
     einige Minuten Zeit. Meinen Wagen kennst du ja.«
    »Danke«, hörte er sie sagen. »Ich liebe dich.«
    Dann ertönte das Besetztzeichen. Wohl um zu verhindern, daß er es sich noch anders überlegte, hatte sie aufgelegt.
     
    Er spürte, wie der Druck von ihm wich. Noch hatte er alles in der Hand. Sollte er Marlene eine Nachricht hinterlassen? Das
     war wahrscheinlich besser, weil es sie ein wenig beruhigen würde. Neben dem Telefon lagen die Notizzettel, zusammengeklammert
     vom Maul eines gelb-schwarz gestreiften kleinen Holztigers, den er vor Jahren in einem Kunstgewerbeladen gekauft hatte. Aber
     die Zettel waren zu klein und konnten vielleicht von ihr übersehen werden. Sicherer war es, wenn er seine Nachricht auf das
     Blatt mit ihrer Frage schrieb, das in seiner Jackentasche steckte. Er strich es glatt und schrieb unter ihre großen Druckbuchstaben:
     »Ich komme zwischen 17 und 18 Uhr nach Hause. Dann reden wir und klären alles. Bis dahin – Paul.«
    Einen Augenblick zögerte er. Konnte er das so stehenlassen? Es las sich, als wolle er andeuten, daß alles nur ein Irrtum sei.
     Das würde Marlene vielleicht gegen ihn aufbringen. Aber er konnte es jetzt nicht ändern. Er mußte weg.
    Auf dem Besucherparkplatz der Klinik fand er eine Lücke in der vorletzten Reihe, drehte den Schlüssel auf Parkstellung und
     wartete. Kurz danach sah er im Rückspiegel Anjas roten Polo auf den Platz fahren und in einer anderen Wagenreihe verschwinden.
     Dicht hinter seinem Wagen ging eine Krankenschwester vorbei, die er flüchtig kannte, die aber seinen Wagen hier nicht beachtete.
     Aus der anderen Richtung sah er eilig Anja kommen, die sich suchend nach ihm umschaute. Er schaltete kurz das Standlicht ein
     und aus, kein besonders deutliches Signal bei dem hellen Tageslicht, aber sie bemerkte es sofort und nickte, und er neigte
     sich zur Seite, um die Beifahrertür für sie offenzuhalten und sie zu sich hereinzulassen.
    Sie trug den weißen Leinenrock, von dem sie wußte, daß er sie gerne darin sah, und in dem engen Innenraum des Wagens spürte
     er sofort wieder die irritierende Anziehung, die von ihr ausging. Es war eine schwirrende Erregtheit, die wie ein plötzlicher
     Wetterwechsel mit ihr in den Wagen gekommen war. Doch weil er fürchtete, hier im Auto mit ihr in einer verfänglichen Situation
     gesehen zu werden, gab er ihr nur einen angedeuteten Begrüßungskuß.
    »Nein, so nicht«, sagte sie, schlang ihren Arm um seinen Nacken und zog sich an ihn heran. Dicht vor sich sah er ihre Augen
     sich schließen, als sich ihr Mund seinem Mund näherte und mit ihm verschmolz. Alles zog sich zusammen in dieser drängenden
     Weichheit und Feuchte, die sie aneinanderband, bis er plötzlich spürte, daß ihre Hand nach seinem Geschlecht tastete, und
     er sie schroff zurückstieß.
    »Laß das bitte! Was soll das jetzt?«
    Sie starrte ihn an.
    »Entschuldige«, sagte sie. »Warum bist du auf einmal so prüde?«
    Er wußte, daß er übertrieben reagiert hatte, aber seine Nerven vibrierten, und er konnte sich nicht zurückhalten, ihr zu sagen,
     was sie ohnehin wußte – daß er Arzt in dieser Klinik sei und jeder ihn hier kenne und sie auf diesem Parkplatz wie auf dem
     Präsentierteller standen. Daran hätte sie schließlich auch einmal denken müssen und nicht immer nur an ihre Wünsche.
    »Was regst du dich so auf, Paul? Niemand hat etwas sehen können«, sagte sie.
    »Ach, niemand hat etwas sehen können?! Wie weit wolltest du es denn noch treiben?«
    Er machte eine Pause, um sich zu beruhigen, befremdet und beschämt von seiner aufbrausenden Wut, die immer noch in ihm bebte.
    »Okay«, sagte er, »ich

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