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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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sehe es falsch? Klar. Ich kann nicht erkennen, daß du völlig richtig handelst. Das ist natürlich mein Fehler. Du
     nimmst alle Vorteile deines gewohnten Lebens wahr und genehmigst dir nach Belieben deine Extrarechte. Du glaubst nämlich,
     es stehe dir zu. Und was andere Menschen empfinden, ist dir einfach egal.«
    »Nein, überhaupt nicht«, sagte er. »Weshalb hätte ich es sonst versteckt?«
    »Begreifst du nicht, was du sagst? Du stellst dir doch selbst ein Armutszeugnis aus. Was du getrieben hast, ist egozentrisch,
     primitiv und verantwortungslos, vor allem gegenüber Anja und Leonhard. Von mir rede ich erst gar nicht.«
    »Rede bitte auch von dir.«
    »Ich muß mich ja nicht erklären. Du stehst hier zur Diskussion.«
    »Nein, nein, du stehst nicht zur Diskussion. Natürlich nicht! Das wäre ja absurd! Ich bin es selbstverständlich, der primitiv
     und verantwortungslos ist. Von dir kann ja jeder Mensch nur das Gegenteil sagen.«
    Sie schaute ihn an.
    »Du bist wohl ziemlich in Panik«, sagte sie.
    »Ja«, sagte er. »Anja ist dabei durchzudrehen, seit sie weiß, daß du über uns Bescheid weißt.«
    »Ach, das hast du ihr gleich erzählt. Bevor du mit mir sprechen wolltest, hast du dich schnell mit ihr verständigt. Das ist
     wirklich interessant.«
    »Es ist absolut blödsinnig von mir, die totale Verwirrung. Aber als ich gestern abend deinen Zettel las, dachte ich: Das ist
     jetzt die Gelegenheit, Schluß zu machen. Trotzdem habe ich nichts unternommen, bis sie mich anrief. Dann habe ich es ihr gesagt.«
    »Daß es vorbei ist? Das glaube ich dir nicht.«
    »Dazu ließ sie mir gar keine Gelegenheit. Sie fing sofort damit an, daß sie sich von Leonhard trennen will. Und sie hofft,
     daß du mich davonjagen wirst – sofort in ihre Arme.«
    »Möchtest du das?«
    Er brachte es nicht fertig, nein zu sagen, und schüttelte nur den Kopf. Dann sagte er: »Ich bin in die Geschichte reingestolpert
     und habe nicht mehr gewußt, wie ich wieder rauskommen sollte.«
    »Du glaubst doch nicht, daß ich Mitleid mit dir habe? Du hast ja gewußt, was für eine labile Person sie ist.«
    Sie machte eine Pause, und als dämmerten ihr erst jetzt die weiteren Konsequenzen, sagte sie: »Für Leonhard ist das absolut
     schrecklich.«
    »Ja, das ist wahr. Aber im Grunde läßt es mich kalt. Die Ehe war von Anfang an verlogen, und er hat es einfach nicht sehen
     wollen.«
    »Ach, und du hast ihm die Augen öffnen wollen. Das ist ja edelmütig.«
    »Wenn du diesen Ton beibehalten willst, können wir auch Schluß machen.«
    »Ja, anscheinend können wir uns nur noch verletzen. Ich wollte eigentlich noch etwas anderes sagen. Für mich ist es absolut
     schrecklich, daß du mit Anja dasselbe inszeniert hast wie damals mit mir. Damit machst du auch unsere Geschichte unglaubwürdig
     und lächerlich. Hast du überhaupt jemals daran gedacht?«
    »Nein, das waren nicht meine Gedanken. Ich sagte doch, ich bin da reingestolpert und habe mich bemüht, es unter Kontrolle
     zu halten.«
    »Und weil du Angst hattest, hast du gedacht: Ich habe noch Marlene im Hintergrund. Die ist ja immer für mich da.«
    »Kann schon sein, daß ich so etwas empfunden habe.«
    Er merkte, daß es ihn erleichterte, alles zuzugeben, was sie ihm unterstellte. Es war ein seltsames Bedürfnis, sie zu zwingen,
     ihn mit all seinen Widersprüchen und Schwächen wahrzunehmen. Und um es zu übertreiben, fuhr er fort: »Ich habe auch daran
     gedacht, dich zu verlassen, manchmal. Mit oder ohne Anja. Das war in diesen Momenten egal. Es war nur das Gefühl, alles ist
     so verdammt harmonisch und vernünftig bei uns, wenn du verstehst, was ich damit meine.«
    »Ich versuch's gerade. Aber ich habe eigentlich keine Lust mehr dazu. Mit Anja ist wahrscheinlich alles ganz anders. Wie ist
     sie zum Beispiel im Bett? Was hat sie dir zu bieten? Sie ist ja eine Hysterikerin. Das kann vielleicht aufregend sein.«
    Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Wenn du es unbedingt wissen willst: Sie ist intuitiv und leidenschaftlich.«
    »Wie fabelhaft für dich«, sagte sie. »Dann ist ja alles klar.«
    Beide schwiegen sie. Dann stand sie auf, um aus der Küche zu gehen.
    »Wo willst du hin?« fragte er.
    »Ich bestelle den Tisch ab. Ich habe keine Lust mehr, mit dir essen zu gehen. Und ehrlich gesagt, möchte ich dich überhaupt
     nicht sehen.«
    Er blieb am Tisch sitzen. Alles war schiefgegangen. Anja allerdings hätte triumphiert, wenn sie das Gespräch belauscht hätte.
     Wieder hörte er

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