Der Liebeswunsch
ohne
Anfang und Ende, der in unaufhörlicher Variation um etwas Ungreifbares kreiste, das immer wieder zerrann und das er immer
wieder zu beschwören und zu erschaffen versuchte, ein Wirbel, ein Strudel, dessen Mittelpunkt er selbst war. Es war ein pausenloser
Text, unendlichvielfältig und doch monoton, wie eine endlose Bewegung, für die es kein Ziel gab. Er las es mit wachsendem Widerwillen, wie
einen sich ausbreitenden Wahnsinn, der auf ihn überspringen wollte, ihn aber immer kälter, immer nüchterner zurückließ: Nein,
so konnte er nicht leben. Der Liebeswahn dieser Frau war eine Falle, die das Leben für ihn aufgestellt hatte. Sie war speziell
für ihn gemacht. Damit hatte sie recht. Doch es mußte die Hölle sein, mit den Hysterien dieser Frau Tag für Tag und Nacht
für Nacht in einer Wohnung zusammenzuleben, ausgesetzt dieser kranken Unersättlichkeit, mit der sie immer wieder nach Liebe
verlangte – Liebe, Liebe, Liebe! War er denn verrückt gewesen, seine Ehe mit einer so schönen und klugen Frau wie Marlene
dafür aufs Spiel zu setzen? Und alles zu gefährden, was dazu gehörte, das große Haus, in dem sie wohnten, die gesellschaftlichen
Verbindungen, vielleicht sogar seine Chancen im Beruf? So wie Marlene reagiert hatte, mußte er damit rechnen, daß er alles
schon verspielt hatte. Was wog dagegen der Satz, den er hier auf dem nächsten Blatt las: »Wenn Du mich verläßt, werde ich
in vollkommener Dunkelheit zurückbleiben, als wäre ich gestorben.« Das waren doch alles nur Worte, an denen sie sich berauschte,
weil sie süchtig nach großen Gefühlen war.
Er legte das Blatt weg und blickte auf, denn er hatte sie gehört. Da stand sie in der Tür und schaute ihn an. Sie war nackt.
Der Ausdruck ihres Gesichtes hatte sich in eine leere Trance verwandelt, bis auf den dunklen Blick, der unverwandt auf ihn
gerichtet war. Da ist sie! Wenn es sie nicht gäbe, wäre alles gut. Sein Blick richtete sich auf das gewölbte, fahlblond behaarte
Dreieck ihres Schamhügels und die helle Haut der Schenkel. Wenn es sie nicht gäbe … Aberes gab sie – eine Art Trugbild seines eigenen Wahns. So kam sie auf ihn zu. Ihre nackten Fußsohlen machten auf dem glatten
Bodenbelag ein leises saugendes Geräusch. Dann stand sie dicht vor ihm. Ihre Brüste, die matt schimmernde Haut. Mit beiden
Händen stützte sie sich auf seine Schultern und setzte sich mit gespreizten Beinen rittlings auf seine Schenkel. Als wollte
sie ihn einschläfern oder bannen, küßte sie ihn sanft auf die Augenlider, bevor sie langsam, mit der Ausdrücklichkeit und
Sorgfalt einer rituellen Handlung sein Hemd aufknöpfte und es dann ringsum aus dem Gürtel zog. Schau an, dachte er, wie sie
mir klarmacht, was sie will. Wie sie mich beherrschen will. Aber es ist die Abschiedsvorstellung. Ich werde Schluß machen.
Es ist das letzte Mal. Das denkwürdige letzte Mal!
Ohne ein Wort zu sagen, hob er sie hoch und trug sie auf das Bett. Ihre Augen, weit aufgerissen, erwarteten ihn. Er hat Angst,
sie schlagen zu müssen in dieses unbelehrbare Gesicht. Aber er kann die Wut auffangen, kann sie in seinem Körper zusammenhalten,
in den wilden Stößen seines Leibes gegen ihren Leib. Ist es das? Willst du das?! Und das? Und das?
Er hat es nicht gesagt. Aber er hört ihr Keuchen, das ihm antwortet.
»Ja!! Ja! O ja!«
Nichts führt hinaus aus dieser Verrücktheit. Es ist eine endlose Schleife, in der alles von ihr zurückkommt, was er ihr gibt.
Ein Echo, ein Schattenspiel. Er starrt in ihren weit geöffneten Blick, der alles zu begreifen scheint und alles haben will,
was von ihm kommt. Er kann ihr auch seine Wut geben. Die aufbrandende Panik und Raserei, mit der er sie durchdringt und von
sich stößt.
»Bring mich um!« flüstert sie. »Bring mich um! Bitte, bring mich um!«
Danach lagen sie reglos nebeneinander, ohne daß einer von ihnen etwas sagte. Es war geschehen, etwas Unvorhergesehenes und
Unsagbares, und nun hatte er sich gegen sie verschlossen. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte sie etwas nicht verstanden,
daß er so völlig von ihr zurückwich? Sie hatte die plötzliche Wut gespürt, mit der er sie gepackt hatte, und für sie war es
im Augenblick eine Lösung gewesen. Er hatte etwas in ihr aufgedeckt, was sie immer wie ein Schatten begleitet hatte – der
Wunsch, ein Ende zu machen, und sie hatte gedacht, noch nie so einig mit ihm gewesen zu sein. Statt dessen war er von ihr
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