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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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durchbrochen. Marlene und
     inzwischen auch Leonhard wußten Bescheid. Und so wares vielleicht nicht mehr nötig, sich umzubringen. Sie konnte jetzt hoffen. Für ihn war das eine zwiespältige Erleichterung.
    Er hatte sich auf einen der beiden Stühle gesetzt. Sie auf das Kopfende des Bettes, mit angezogenen Knien. Der weiße Rock
     war an ihren Schenkeln hochgerutscht. Nie wußte er, ob das Berechnung war.
    »Komm zu mir«, sagte sie. »Erzähl mir, wie es dir ergangen ist.«
    Sie hatte den Platz neben sich freigelassen. Dort saßen sie jetzt zusammengedrängt wie Kinder in ihrer selbstgebauten Hütte.
     Wieder roch er den Schlafdunst ihres Körpers und spürte, wie ihn das erregte.
    »Ich habe dich heute nacht erwartet«, sagte sie. »Warum bist du jetzt gekommen?«
    »Ich habe deinen Brief gelesen. Die ganze Zeit, während ich mit Marlene geredet habe, hatte ich ihn ungeöffnet in der Tasche.
     Wir haben uns gegenseitig verletzt und dann nur noch angeschwiegen. So ist sie heute morgen in den Dienst gefahren.«
    »Und du mußt nicht in den Dienst?«
    »Glücklicherweise habe ich heute Nachtdienst. Das macht es erst einmal leichter.«
    »Ja«, sagte sie, »das macht es viel leichter, vor allem für uns. Siehst du, wir können auch Glück haben. Du hast also meinen
     Brief gelesen?«
    »Ja, sofort, nachdem Marlene ins Krankenhaus gefahren war. Wort für Wort. Danach bekam ich solche Sehnsucht, daß ich dich
     sofort sehen mußte. Ich hatte nur Angst, du könntest nicht da sein.«
    »Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet und dir geschrieben. Meine Gedanken sollten dich umgeben und stärken. Gegen Morgen habe ich mich hingelegt.«
    »Da ist noch etwas«, sagte er. »Leonhard hat gestern abend Marlene angerufen. Er wollte wissen, ob du bei uns seist. Ich habe
     das Gespräch nicht mitgehört. Aber sie hat ihm wohl auch von unserem Treffpunkt erzählt.«
    Sie schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie: »Jetzt ist doch alles klar. Laß uns die Koffer packen und verschwinden.«
    »Du bist eine Phantastin«, sagte er.
    »Sag das nicht, Liebster. Sonst denke ich, du willst dich in Sicherheit bringen. Wir dürfen jetzt beide keine Angst haben.«
    »Mit Angst hat das nichts zu tun. Ich habe Dienst. Zum Beispiel heute nacht.«
    »Dann ziehen wir eben in ein Hotel. Du machst weiter deinen Dienst, und ich erwarte dich in einem schönen großen Doppelbett.«
    Sie küßte ihn. Noch immer war ihr Mund aufgeweicht vom Schlaf.
    »Ich sehe dir an, was du denkst«, flüsterte sie. »Vergiß es jetzt.«
    »Woher willst du wissen, was ich denke?«
    »Ich kenne deine Gedanken, weil ich sie verstehe. Aber sie sind falsch.«
    »Was ist mit Leonhard? Müssen wir nicht damit rechnen, daß er herkommt?«
    »Ich weiß zufällig, daß er heute einen Prozeß hat. Er kann uns nicht stören. Und das würde er auch sowieso nicht tun.« Sie
     küßte ihn wieder. Dann sagte sie: »Entschuldige mich. Ich bin gleich wieder da.« Er schaute ihr nach, wie sie in demkleinen Toiletten- und Duschraum verschwand, und stand auf, um einen Fensterflügel zu öffnen, ließ den Vorhang aber zu. Dann
     setzte er sich auf einen Stuhl und beugte sich vor, um die auf dem Boden liegenden Blätter aufzuheben und auf den Tisch zu
     legen. Sie waren beidseitig beschrieben und nicht numeriert. Ihre Schrift war eilig, aber klar, und nirgends gab es größere
     Verbesserungen. Eines der Blätter, das er zu den anderen legen wollte, begann mit dem Satz: »Tag und Nacht lebe ich mit Dir,
     denn ich bin in einem tieferen Sinne längst und immer schon Deine Frau.«
    Ja, das waren ihre Gedanken, ihr heißer, innerer Kern, aus dem sie entstanden wie ein Lauffeuer. Er las weiter: »Du und ich,
     wir sind aus demselben Stoff gemacht. Deshalb haben wir uns gefunden und werden bald ganz zueinanderkommen. Es ist unaufhaltsam.
     Auch Du bewegst Dich auf mich zu, vorsichtig, wie jemand, der noch fremde Lasten trägt. Aber bald wirst Du sie abwerfen und
     nur Du selbst sein. Noch weiß ich es besser, als Du es wissen kannst. Ich fühle es in meinem Herzen und in meinem Leib als
     eine Schwere und eine Süße. Manchmal aber, wenn ich Dich nicht sehen und nicht erreichen kann, ist es noch so wie bloß geträumt,
     und ich bin allein auf einer Insel, umgeben von dunkler Nacht. Dann rede ich mir zu, daß Du kommst und mich rettest, und genauso
     wird es sein.«
    Er legte das Blatt zu den anderen, blickte auf das nächste und das übernächste, das er vom Boden aufhob. Es war ein Text

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