Der Liebhaber meines Mannes
Hand. Es ist ganz still im Zimmer und ich bin einen Augenblick damit beschäftigt, eine leere Seite in dem Block zu finden (der in Wahrheit seit Jahren nicht benutzt wurde) und den richtigen Bleistift zu wählen. Als mir klar wird, dass ich ihn jetzt stundenlang so ungeniert anschauen kann, wie ich will, halte ich erstarrt inne.
Ich kann nicht. Ich kann die Augen nicht zu ihm heben. Mein Herz spielt verrückt unter der Last dieses uneingeschränkten Vergnügens, das vor mir liegt. Ich lasse Bleistift und Papier fallen und krieche schließlich vor ihm auf dem Fußboden herum, versuche verzweifelt, die Dinge wieder einzusammeln.
»Alles in Ordnung?«, fragt er. Seine Stimme ist leise und dennoch ernst und ich hole Luft. Setze mich wieder auf den Stuhl. Mache es mir bequem.
»Alles bestens«, sage ich.
Die Arbeit beginnt.
Es ist seltsam. Zuerst kann ich ihn immer nur kurz ansehen. Denn ich fürchte, dass ich vielleicht vor Freude anfange zu lachen. Dass ich vielleicht über seine Jugend lache, darüber, wie er strahlt, wie seine Wangen gerötet sind, seine Augen vor Interesse leuchten. Wie seine Oberschenkel nebeneinanderliegen, wenn er sitzt. Wie er seine schönen Schultern gerade hält. Oder dass ich, in diesem Zustand, vielleicht sogar anfange zu weinen.
Ich versuche mich zusammenzunehmen. Ich muss mir einreden, dass es mir mit der Zeichnung sehr ernst ist. Nur so kannich mir erlauben, ihn genau zu betrachten. Ich muss versuchen, ihn von innen zu sehen, wie mein Kunstlehrer immer sagte. Sieh den Apfel von innen. Nur dann kannst du ihn zeichnen.
Ich halte mir den Bleistift vors Gesicht und blinzele, um seine Proportionen zu prüfen: Augen zu Nase zu Mund. Kinn zu Schulter zu Taille. Ich markiere die Punkte auf dem Blatt. Bemerke, wie hell seine Augenbrauen sind. An der Nasenwurzel ist eine leichte Erhebung. Die Nasenflügel sind elegant abgewinkelt. Der Mund hat eine klare Linie. Die Oberlippe ist etwas voller als die Unterlippe (an diesem Punkt verliere ich fast die Konzentration). Sein Kinn hat eine feine Spalte.
Während ich skizziere, gelingt es mir tatsächlich gut, mich völlig in die Arbeit zu vertiefen. Das flüsternde Geräusch des Bleistiftes ist sehr beruhigend. Deshalb ist es irgendwie ein Schock, als er sagt: »Ich wette, du hast nicht gedacht, dass mal ein Polizist in deinem Schlafzimmer sitzen würde.«
Aber ich stocke nicht, sondern zeichne weiter, in weichen Linien, versuche, mich auf die Arbeit zu konzentrieren.
»Ich wette, du hast nicht gedacht, dass du mal in ein Künstleratelier kommen würdest«, gab ich zurück, zufrieden mit mir, weil ich so gelassen blieb.
Er lacht ein bisschen. »Vielleicht doch. Vielleicht auch nicht.«
Ich sehe ihn an. Er kann sich unmöglich nicht bewusst sein, wie gut er aussieht, denke ich. Trotz seiner Jugend muss er ein bisschen um seine Wirkung wissen.
»Aber mal im Ernst. Ich habe mich immer für Kunst und so was interessiert«, erklärt er. Er klingt stolz, aber seine Aufschneiderei hat etwas Jungenhaftes. Es ist bezaubernd. Er will sich mir gegenüber beweisen.
Dann kam mir plötzlich ein Gedanke: Wenn ich weiter schweige, wird er weiterreden. Er wird alles herauslassen. In diesem stillen Zimmer, mit einer Tischdecke vor dem Fenster und einer Lampe,die seinen Körper beleuchtet, meine Augen auf ihm ruhend, aber meine Stimme zum Schweigen gebracht, kann er der sein, der er sein will: der kultivierte Polizist.
»Die anderen Bullen interessieren sich natürlich nicht dafür. Sie finden es eingebildet. Aber ich denke mir, na ja, es ist da, oder nicht? Du kannst es mitnehmen, wenn du willst. Es ist alles da. Es ist nicht mehr so, wie es mal war.«
Er errötet noch stärker; die Haare an seinen Schläfen werden dunkel vom Schweiß.
»Ich meine, ich bin nicht besonders gebildet, wirklich – Realschule, immer nur Holzarbeiten und technisches Zeichnen –, und in der Army, na ja. Wenn du nur ein bisschen Mozart summst, reißen sie dich in Stücke. Aber jetzt bin ich für mich selbst verantwortlich, oder? Es liegt ganz bei mir.«
»Ja«, sage ich, »das stimmt.«
»Du bist natürlich im Vorteil, wenn ich das sagen darf. Du bist hineingeboren. Literatur, Musik, Malerei … «
Ich höre auf zu zeichnen. »Das stimmt zum Teil. Aber nicht jeder, den ich kannte, hielt etwas von diesen Dingen. Zunächst einmal mein Vater. Und der alte Spicer, der Hausmeister der Schule. Einmal sagte er zu mir: ›Englische Literatur ist nichts für einen Mann, Hazlewood.
Weitere Kostenlose Bücher