Der Liebhaber meines Mannes
die Hand vor ihrem Gesicht. »Tricky. Wirke ich abwesend auf dich?«
»Nein, Mutter. Du wirkst vollkommen präsent.«
»Gut. Und jetzt erzähl, was ist im schmutzigen alten Brighton los? Benimmst du dich?«
»Bestimmt nicht.«
Sie zeigte ihr teuflischstes Lächeln. »Wunderbar. Lass uns was trinken und du erzählst mir alles darüber.«
»Zuerst Lunch. Dann rufe ich Dr. Shire, um nach dir zu sehen.«
Sie blinzelte. »Sei nicht albern.«
»Ich weiß alles über diese Zustände, die du gehabt hast. Und ich möchte, dass er kommt und nach dir sieht.«
»Es wäre völlige Zeitverschwendung. Er war schon hier.« Ihre Stimme war ruhig. Sie wandte den Blick von mir ab in den Garten.
»Und was war seine Diagnose?«
»Ich leide an der weit verbreiteten Krankheit, die Alter genanntwird. Diese Dinge passieren. Und sie werden mehr und mehr passieren.«
»Sag das nicht.«
»Tricky, Liebling. Es stimmt.«
»Wenn es wieder vorkommt, ruf mich an. Sofort.« Ich ergriff ihre Hand. Hielt sie fest. »In Ordnung?«
Sie drückte meine Hand. »Wenn du darauf bestehst.«
»Danke.«
»Jetzt lass uns was trinken. Ich mag Käse auf Toast nicht ohne ein Glas Bordeaux.«
Wir beließen es dabei. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, meine Mutter mit Geschichten von meinen Zusammenstößen mit Houghton, meinem Umgang mit Jackie und sogar mit der Geschichte von der Frau auf dem Fahrrad zu unterhalten, wobei ich die Rolle meines Polizisten bei dem Vorfall auf ein Minimum reduzierte.
Mutter hat mir gegenüber nie meine Homosexualität erwähnt und ich habe nie davon angefangen. Ich bezweifle, dass das Thema jemals zwischen uns zur Sprache kommt, aber ich bin überzeugt, dass sie meine Situation vage, unbewusst versteht. Zum Beispiel hat sie nicht einmal gefragt, wann ich ein nettes Mädchen mit nach Hause bringe und ihr vorstelle. Als ich einundzwanzig war, habe ich zufällig gehört, wie sie Mrs Drewitts jährliche Erkundigung nach meinem Familienstand mit den Worten abwehrte: »Dafür ist Tricky nicht geschaffen.«
Amen.
14. OKTOBER 1957
IMMER WENN HOUGHTON SEINE glänzende Glatze durch die Tür steckt und trällert: »Lunch, Hazlewood? East Street?«, gibt es Ärger. Das letzte Mal, als wir beide essen waren, verlangte er, dass ich mehr hiesige Aquarelle ausstelle. Ich erklärte mich einverstanden, aber bis jetzt ist es mir gelungen, die Anordnung zu missachten.
Der Dining Room in der East Street passt zu Houghton: große weiße Teller, silberne Saucieren, in die Jahre gekommene Kellner mit brüchigem Lächeln, die es nicht eilig haben, einem das Essen zu bringen, alles gekocht. Aber der Wein ist normalerweise leidlich und sie machen einen guten Pudding. Stachelbeer-Pie, Biskuitkuchen mit Sirupfüllung, Spotted Dick, so etwas.
Nachdem wir lange gewartet hatten, bevor wir überhaupt bedient wurden, beendeten wir schließlich unseren Hauptgang (ein ziemlich zähes Lammkotelett mit Kartoffeln, die aus der Dose waren, da war ich sicher, garniert mit ein paar Zweigen Petersilie). Erst danach erklärte Houghton, dass er beschlossen hätte, für meine Kindernachmittage grünes Licht zu geben. Dagegen könnte er auf keinen Fall den Mittagskonzerten zustimmen. »Wir sind für das Visuelle zuständig, nicht das Akustische«, sagte er und leerte das dritte Glas Bordeauxwein.
Ich hatte auch schon ein paar Gläser und konterte: »Spielt das eine Rolle? Auf die Art könnte man die, die mehr zum Akustischen tendieren, für das Visuelle gewinnen.«
Er nickte langsam und holte tief Luft, als ob das genau die Art von Herausforderung war, die er von Leuten wie mir erwartet hatte, und er tatsächlich froh war, dass ich auf eine Art geantwortethatte, auf die er bestens vorbereitet war. »Mir scheint, Hazlewood, es ist Ihr Job, die fortwährende Qualität unserer Sammlung europäischer Kunst sicherzustellen. Die Qualität der Sammlung – nicht irgendein musikalischer Gag – wird die Öffentlichkeit ins Museum locken.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Haben Sie was dagegen, wenn wir den Pudding weglassen? Ich bin ziemlich in Eile.«
Pudding, wollte ich sagen, war das Einzige, für das sich dieses Erlebnis gelohnt hätte. Aber selbstverständlich erwartete er auf die Frage keine Antwort, sondern bat um die Rechnung.
Mit der Brieftasche herumspielend, hielt er dann noch eine kleine Ansprache: »Ihr Reformer schießt immer übers Ziel hinaus. Nehmen Sie einen Rat von mir an und lassen es auf sich beruhen. Es ist leicht, mit
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