Der Liebhaber meines Mannes
Romane. Studieren Sie das nicht an diesen Frauen-Colleges?‹ Ich glaube, meine Schule war genauso mit Banausen vollgestopft wie deine«, sage ich.
Es entsteht eine kleine Pause. Ich beginne wieder zu zeichnen.
»Aber wie du sagst«, fahre ich fort, »du kannst es ihnen jetzt zeigen. Sie haben sich geirrt und du kannst es ihnen zeigen.«
»Wie du es getan hast«, sagt er.
Unsere Blicke treffen sich.
Langsam lege ich meinen Bleistift hin. »Ich glaub, das reicht für heute.«
»Ist es fertig?«
»Es wird einige Wochen dauern. Vielleicht mehr. Dies ist nur eine vorbereitende Skizze.«
Er nickt, blickt auf die Uhr. »War’s das dann?«
Und plötzlich kann ich es nicht mehr ertragen, dass er in der Wohnung ist. Ich weiß, ich kann mich nicht mehr viel länger verstellen. Ich kann nicht mehr über Kunst und Ausbildung und die Schwierigkeiten, ein junger Polizist zu sein, plaudern. Ich muss ihn berühren, und der Gedanke, dass er sich abwendet, ist so entsetzlich, dass ich sage, bevor ich mich beruhigen kann: »Das war’s. Nächste Woche um dieselbe Zeit?« Ich spreche hastig und kann ihn nicht ansehen.
»In Ordnung«, sagt er und steht auf, offenbar ein bisschen verwirrt. »In Ordnung.«
Kaum dass ich es gesagt habe, will ich es zurücknehmen, ihn am Arm packen und an mich ziehen, aber er geht in Richtung Wohnzimmer, stopft seine Uniformjacke in die Tasche und wirft sich den Mantel über. Als ich ihn zur Tür bringe, lächelt er und sagt: »Danke.« Und ich nicke stumm.
13. OKTOBER 1957
SONNTAG, EIN TAG, DEN ICH wegen der unterschwelligen Anständigkeit immer gehasst habe, scheint passend für einen Familienbesuch. Deshalb nahm ich heute Morgen den Zug nach Godstone, um Mutter zu besuchen. Jedes Mal, wenn ich hinfahre, ist sie stiller. Ich erinnere mich zwar immer wieder daran, dass sie nicht allein ist. Sie hat Nina, die alles für sie tut. Es immer getan hat und immer tun wird. Sie hat Tante Cicely und Onkel Bertram, die oft zu Besuch kommen.
Aber es ist – muss – drei Jahre her sein, seit sie das Haus nicht mehr verlassen hat. Es ist alles so blitzsauber wie immer, aber leblos und schal innerhalb dieser Wände, was mich davon abhält, häufiger hinzufahren, was ich eigentlich sollte.
Es war Mittag, als ich die lange, gepflasterte Auffahrt hinaufging, vorbei am perfekt geschnittenen Liguster und den Kiesweg an der Seite des Hauses entlang, wo ich einmal unter dem hohen Küchenfenster gegen die Wand gepinkelt habe, genau dort, wo mein Vater unsere Nachbarin, Mrs Drewitt, geküsst hatte. Er hatte sie gleich dort geküsst und Mutter wusste davon, schwieg aber wie immer, wenn er sie betrog. Mrs Drewitt kam jedes Weihnachten zu uns und aß Mince Pie und trank Ninas Punsch. Und jedes Weihnachten reichte meine Mutter ihr eine Serviette und erkundigte sich nach dem Befinden ihrer beiden schrecklichen Söhne, die sich nur für Rugby und die Börse interessierten. Nachdem ich Zeuge eines dieser Gespräche gewesen war, entschied ich, die Hauswand mit dem natürlichen Muster meines Urins zu verzieren.
Mutters Haus ist mit Möbeln vollgestopft. Seit der alte Herrgestorben ist, bestellt sie sie bei Heals. Sie sind alle modern – blassgraue Sideboards mit Rollladentüren, Couchtische mit Metallbeinen und Rauchglasplatten, Stehlampen mit riesigen weißen Kugeln als Schirme. Nichts davon passt zum Haus im nachgemachten Tudorstil, ein scheußlicher Bau aus den Dreißigern inklusive der Bleiglasfenster. Ich habe versucht, Mutter zu überreden, in etwas Praktischeres umzuziehen, sogar (Gott möge verhüten, dass das tatsächlich passiert) eine Wohnung in meiner Nähe. Sie könnte sich problemlos Lewes Crescent leisten, aber Brunswick Terrace ist vielleicht wegen der größeren Entfernung sicherer.
Ich ging in die Küche, wo Nina Käsetoast unter dem Grill und das Radio laut aufgedreht hatte. Ich schlich mich von hinten an sie heran und kniff sie in den Unterarm. Sie sprang in die Luft.
»Du bist es!«
»Wie geht’s dir, Nina?«
»Du hast mich so erschreckt …« Sie blinzelte mich ein paar Mal an, holte Luft, dann drehte sie das Radiogeplärr leiser. Nina muss inzwischen in den Fünfzigern sein. Sie trägt die Haare immer noch im kurzen Pagenschnitt, kohlrabenschwarz gefärbt, wie als ich ein Junge war. Sie hatte immer noch dieselben erschreckten grauen Augen und dasselbe sanfte Lächeln.
»Deine Mutter ist heute ein bisschen abwesend.«
»Hast du es mit Elektroschocktherapie versucht? Ich habe gehört, das
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