Der Lilienring
Blut fließe.
»Sie schäumte wirklich, Marie-Anna. Stimmt das eigentlich, was er erzählt hat?«
»Eine sehr entfernte Seitenlinie, ja. Mütterlicherseits. Nichts, auf das ich mir etwas einbilden könnte, Rosemarie.«
Am Donnerstag suchte Marie-Anna Frizzi im Theater auf, zu groß war die Neugier, etwas über Jules zu erfahren. Er war in der Tat zurückgekommen und gastierte als Césare de Colon mit einem Shakespeare-Ensemble im Comödien-Haus. Aber getroffen hatte sie ihn noch nicht. Die Compagnie blieb streng unter sich.
»Und, wie geht es dem Kommerzialrat, Liebelein? Man hört, er hat sich den Bart stutzen lassen. Mimmi meint, sie würde am liebsten ihren Tenor wegschicken und ihn wieder in ihre weit geöffneten Arme aufnehmen.«
»Er ist ein ausnehmend gut aussehender Mann.«
»Ja, und?«
»Verheiratet.«
»Ja, und?«
»Frizzi, selbst wenn ich wollte, eine solche Affäre kann ich mir nicht leisten.«
»Aber du brauchst mal wieder eine Affäre. Schau, ich habe einen neuen Freund, einen Geiger. Er hat mir dieses süße Ringelchen geschenkt!«
Frizzi streckte die linke Hand vor, und Marie-Anna stockte der Atem. Der Ring gehörte zu den verschwundenen Gemmen.
»Woher hat er denn einen solchen alten, römischen Schmuck? Ist dein Geiger Italiener?«
»Ah bah, nein, von hier. Den hat er bei Markus bekommen. Du weißt doch, der Pfandleiher, von dem ich dir erzählt habe.«
»Zu günstigen Konditionen, nehme ich an.« »Na, und wenn schon. Er wird ihn auch zurücknehmen, wenn mal Not am Mann ist.«
Sie schwatzten noch eine Weile, dann verabschiedete sich Marie-Anna recht früh und eilte zur Sous-Préfecture. Faucon empfing sie mit einem fragenden Blick.
»Sie scheinen etwas herausgefunden zu haben, sonst wären Sie wohl heute nicht hier, Marie-Anna?«
»Ja, eine gewisse Verkettung von Umständen, Monsieur, von denen ich glaube, ich sollte sie Ihnen unterbreiten. Die Schlussfolgerung daraus ist allerdings unangenehm.«
»Wie erwartet«, antwortete er trocken. »Berichten Sie.«
»Ich glaube, ich habe einen Ring gesehen, dessen Beschreibung zu dem vermissten Stück aus der raabeschen Sammlung passt. Er wurde von Markus Bretton erworben und an einen Geiger verkauft.«
»So weit ist das noch nicht unangenehm. Bretton ist als Hehler nicht unbekannt.«
»Ursula Raabe hat ein enges Verhältnis zu ihm.«
»Daher seine Besuche bei ihrem ›Jour fixe‹?«
»Möglicherweise. Sie ist auch schon bei ihm gesehen worden, vor einiger Zeit.«
»Bemerkenswert. Aber warum sollte ausgerechnet sie ihren Gatten bestehlen? Raabe ist vermögend genug, ihr alle Wünsche zu erfüllen.«
»Das ist der wesentliche Punkt, Monsieur Faucon. Der Kommerzialrat besteht, wie ich Ihnen schon einmal mitteilte, auf einem strengen Reglement im Haus. Soweit ich informiert bin, erhält Madame nur ein kleines Nadelgeld, ihre Rechnungen sieht ihr Gatte persönlich durch. Doch sie neigt zu größeren Ausgaben, die vor allem verschiedene Luxusgüter betreffen und die Monsieur Raabe gewöhnlich nicht in seinem Haus duldet.«
»Als da sind?«
»Zuckerwerk, Schokoladen, Liqueure, Bohnenkaffee, Tee…«
»Sie betreibt also die kleinen, schmutzigen Schmuggelgeschäfte? Mit wem?«
»Das werde ich Ihnen nicht verraten.«
»Marie-Anna!«
»Nein, Monsieur Faucon, ich werde es nicht tun, denn
ich will einen Unglücklichen nicht noch unglücklicher machen.«
»Nun gut, für den Moment mag das auf sich beruhen. Ich brauche den Namen des Geigers.«
»Den kann ich Ihnen nicht nennen, weil ich ihn nicht kenne.«
»Wer trägt derzeit den Ring?«
»Eine Freundin. Versprechen Sie mir an der Stelle, mit Delikatesse vorzugehen? Ich möchte nicht, dass sie Unannehmlichkeiten bekommt.«
»Gewährt.«
»Sie kennen sie bereits, Frizzi, die Tänzerin, die damals mit mir zusammen verhaftet wurde.«
»Ich erinnere mich.«
»Und, Monsieur Faucon, verlangen Sie bitte nicht, dass ich mit meinem Arbeitgeber über diesen Verdacht spreche.«
»Fürchten Sie sich vor Raabe?«
Sie senkte den Kopf, leicht verlegen.
»Ich möchte unser derzeit gutes Verhältnis nicht zerstören.«
»Nun, dann überlassen Sie es mir, geeignete Schritte einzuleiten. Einen Teil des Rätsels hätten wir damit möglicherweise gelöst. Doch fragt sich nach wie vor, wer die Saboteure unterstützt, nicht wahr?«
»Dazu halte ich Madame, pardon, nicht für fähig.«
»Nein, ich genauso wenig. Und es ist zudem nicht sicher, ob die anderen Stücke den gleichen Weg genommen
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