Der Lilienring
Champagner.
»Gibt es denn Hoffnung?«
Marie-Annas Schulterzucken war beredt und sehr französisch.
Jules nahm ihre Hand und betrachtete sie lange.
»Du trägst den Ring, den ich damals von dem Chevalier gewonnen habe. Weißt du, das macht mich ein klein wenig glücklich. Chérie, ich bin auf dem Weg, mir einen Namen zu machen. Meine Zimmer sind heutzutage ebenfalls geheizt, und an Essen fehlt es nicht mehr. Wenn du also möchtest...«
»Danke, Jules.« Sie legte den Kopf leicht an seine Schulter. »Es ist gut zu wissen, dass man Freunde hat. Aber es wird andere Käthchen geben, die dich küssen werden. Ich will nicht wegen alter Zeiten etwas einklagen und dir die Chancen verderben, die sich ohne Zweifel bieten werden.«
»Vielleicht. Irgendwann werde wohl auch ich sesshaft werden. Sag, wie steht Faucon zu der Tatsache, dass ich wieder hier bin? Er hat mich erkannt.«
»Solange du dich nicht auffällig benimmst, wird er
vergessen, dass Césare de Colon auch einmal anders geheißen hat.«
»Dir zuliebe?«
»Nein, ich glaube einfach, er hegt eine gewisse Toleranz, solange keine Notwendigkeit des Eingreifens besteht. Andererseits wird er schnell und erbarmungslos handeln, sollte es sich als notwendig erweisen. Also, wenn Seine Majestät die Stadt besucht, vermeide alles, was ihm auffallen könnte.«
»Versprochen. Ich sehe, deine Begleiter brechen auf. Möchtest du mitgehen, oder bleibst du noch eine Weile?«
»Bringst du mich später heim?«
»Selbstverständlich.«
Sie blieb noch eine Stunde mit Jules zusammen und ließ sich von ihm berichten, wie er in den vergangenen Monaten seinen Weg gemacht hatte. Der luftige Klatsch und Tratsch des Theaters hatte ihr ein bisschen gefehlt, und sie versprach, sich gelegentlich an ihren freien Tagen mit ihm zu treffen. Dann brachte er sie durch die stillen, von Laternen erleuchteten Straßen nach Hause.
»Viel Glück, Marie-Anna. Ist sie ein großes Hindernis?«
»Wer?«
»Seine Frau?«
»Warum stellst du mir solche Fragen?«
»Weil ich, meine Liebe, ein sehr gutes Gefühl dafür habe, wie es in dir aussieht. Die Saiten sind straff gespannt, und sie schwingen, wenn er dich nur anschaut. Und er schaut oft zu dir hin, Chérie.«
»Gute Nacht, Jules.«
»Gute Nacht.«
Sie gab ihm einen zarten Kuss und klopfte dann an der Haustür. Mathilda, die in der Küche Vorbereitungen für den nächsten Tag getroffen hatte, öffnete ihr.
Marie-Anna fand noch keine Ruhe, als sie ihr Kleid abgelegt hatte und die Haare zu ihrem nächtlichen Zopf geflochten hatte. Eingehüllt in ihren warmen Morgenmantel saß sie an dem Tischchen und schrieb in ihr Tagebuch. Aber plötzlich ruhte die Feder. Sie legte sie ab und griff nach dem Zeichenstift. Auf der nächsten Seite entstand ein Portrait des Valerian Raabe.
Dann schlug sie das Buch sehr schnell zu und schlüpfte unter die Decken.
Am übernächsten Donnerstag zog sich Marie-Anna besonders sorgfältig an und machte sich auf den Weg zu Markus Brettons Pfandleihe. Sie lag zwar nicht gerade im allerbesten Viertel, doch immerhin weit genug von den Elendsquartieren und anrüchigen Straßen entfernt, dass sich auch ehrbare Kundschaft zu ihm hinauswagte. Doch Marie-Anna zog den dünnen Schleier über ihren Kopf, als sie sich durch die Schildergasse Richtung Neumarkt bewegte. Die »Bleche Botz«, das säkularisierte Klarissenkloster, das der Stadt als Frauengefängnis diente, befand sich hier an der Ecke der Krebsgasse. Nähere Bekanntschaft mit der »Blechhose« hatte sie glücklicherweise dank Faucons Maßnahmen vermeiden können. Brettons Ladenlokal lag weiter westlich. Es war nicht zu übersehen, ein farbiges Schild hing über der Tür, und in dem Fenster daneben kündigte der Besitzer An- und Verkauf von Wertgegenständen an. Einige Exponate waren verlockend ausgestellt – silberne Kandelaber, geschliffene Kristallgläser, ein kolorierter Stich, ledergebundene Bücher und ein Samttablett mit glitzerndem Schmuck aus Rheinkieseln.
Marie-Anna betrat den Laden mit nicht nur gespielter Scheu.
»Aber meine Liebe, welch ein unerwartetes Vergnügen!« Markus Bretton trat um die wuchtige Holztheke
herum, die den Raum von dem Zugang zum Hinterzimmer abtrennte. »Ich hoffe, dein Besuch ist eine gesellschaftliche Geste und kein geschäftlicher Anlass.«
»Monsieur Bretton, bitte vergessen Sie die Formen der Höflichkeit nicht, selbst wenn wir hier entre nous sind.«
»So distanziert, Marie-Anna? Ich dachte, unsere gemeinsamen Erlebnisse
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