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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ist ein sehr modernes Gerät und leicht zu bedienen. Der Kommerzialrat legt Wert auf Reinlichkeit.«
    »Es gibt wohl viele Vorschriften in diesem Haus?«
    »Nicht mehr als in anderen Haushalten, das kann ich Ihnen versichern. Aber bestimmt ungewöhnlichere. Sie werden sich schon daran gewöhnen.«
    »Vielleicht geben Sie mir einige Hinweise.«
    »Wenn es nötig ist, gerne, Mamsell. Eines aber sollten Sie auf jeden Fall wissen – Sie haben den Herrn Kommerzialrat ja schon kennen gelernt, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Sie haben feststellen können, dass er nicht sehr laut sprechen kann.«
    »Ja.«
    »Wenn Sie also an eine Zimmertür klopfen, wird Sie ein Glockenklingen zum Eintreten auffordern.«
    »Danke, das ist gut zu wissen.«
    »Und hier, auf der anderen Seite des Ganges sind die Zimmer der Herrschaften. Die betreten Sie selbstverständlich nicht, ohne aufgefordert zu werden. Hier wohnt Madame, dort ist das Appartement des Kommerzialrates. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die anderen Räumlichkeiten. Hier hinauf bitte.«
    Das Schulzimmer lag unter dem Dach, mit Mansardenfenstern zum Garten hin. Doch sie traten nicht ein, denn drei Kinder arbeiteten dort konzentriert unter der Leitung eines grauhaarigen Herren über ihren Büchern. Über die vordere Seite des Hauses erstreckten sich die Dienstbotenkammern. Dann stiegen sie zum ersten Stock hinunter, wo sich die Bel-Etage befand, das Esszimmer und der große Salon, die Bibliothek und das Arbeitszimmer. Im Erdgeschoss bewohnte nach hinten hinaus Frau von Spangenberg mit ihren beiden Kindern zwei Räume, das Zimmer daneben gehörte dem Professor. Zur Straßenseite befanden sich mit separatem Eingang
die Küche und der Waschraum, gegenüber hatte die Haushälterin ihre Wohnung und die Dienstboten ihr Aufenthalts- und Esszimmer. Auch einen Keller gab es, genutzt wurde er als Abstellraum für allerlei Gerätschaften, Vorräte und als Lager für die Sammlung.
    »Gegessen wird mittags um zwölf und abends um sieben gemeinsam im Speisezimmer, das Frühstück wird nach englischer Art ebenfalls dort serviert, da die Bewohner zu unterschiedlichen Zeiten aufstehen.«
    »Danke, Mathilda.«
    »Sie werden heute Abend Madame und die anderen Mitglieder des Hauses kennen lernen.«
    »Legt Madame Wert auf diese Anrede?«
    »Ja, das tut sie. Halten Sie sich besser daran.«
    »Natürlich. Und der Herr?«
    »Sein Titel ist für mich recht. Mag sein, dass Sie ihn Herrn Raabe nennen können. Fräulein Rosemarie nennt ihn Onkel, aber er ist ja schließlich der Bruder ihrer Mutter.«
    »Lebt sie auch in diesem Haus?«
    »Sie ist vor zwölf Jahren gestorben. Fräulein Rosemaries Vater, Professor Klein, arbeitet seither als Hauslehrer und gewissermaßen als Kustos der Sammlung hier. Und nun sollten Sie auf Ihr Zimmer gehen, auspacken und sich ein wenig frisch machen. Punkt sieben finden Sie sich dann bitte im Speisezimmer ein. Kommen Sie selbst zurecht?«
    Marie-Anna lächelte zustimmend. Chateau de Kerjean war bei weitem verwinkelter gewesen als dieses gradlinige Stadthaus. Und erheblich zugiger und düsterer.
    Pünktlich betrat sie zur angegebenen Uhrzeit den Raum. Sie hatte wieder ihr graues Kleid an, doch ein mit einer schmalen Spitze besetztes, weißes Fichu hellte es ein wenig auf. Ihre langen blonden Haare hatte sie
zu einem langen Zopf geflochten und zu einem schlichten Knoten im Nacken aufgesteckt. Für Löckchen und Bäuschchen war es nicht der rechte Anlass.
    »Mademoiselle Marie-Anna de Kerjean«, stellte der Kommerzialrat sie vor, als sie eintrat, und die Gesichter der Anwesenden wandten sich ihr zu. »Treten Sie näher, ich möchte Sie bekannt machen.«
    Sie tat, wie er gebeten hatte, und stand vor einer beleibten, warmherzig dreinblickenden Frau.
    »Ursula, hier haben Sie die neue Lehrerin für unsere Tochter.«
    »Willkommen, meine Liebe. Ich hoffe, Sie werden sich in unserem Haus wohlfühlen. Unsere Graciella ist ein liebes Ding und wird sicher gerne und fleißig mit Ihnen arbeiten!«
    Sie schob ein schlaksiges Mädchen vor, das sich bemühte, ihrem im Wachstum befindlichen Körper eine gewisse Anmut abzuringen. Der Erfolg war mäßig.
    »Mademoiselle«, grüßte sie ernst und reichte ihr die Hand.
    »Fräulein Graciella, ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen.«
    »Solange Sie Deutsch mit mir sprechen, werde ich Sie bestimmt gut verstehen.«
    »Graciella! Achte auf deine Worte!«, mahnte ihre Mutter streng. Aber Marie-Anna zwinkerte dem

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