Der Lilith Code - Thriller
die Sprache der Tiere verstand. Doch Jan hielt sich zurück.
»… aber die historischen Gebäude waren bald zu klein für uns. Zunächst wurde in kurzer Entfernung unter Nutzung der Höhlen eine heute als
Dair el-Huqab
bezeichnete Unterkunft für die Mönche und die Ziegen des Klosters errichtet. Seit 1991 sind wir von der syrisch-katholischen Kirche als Klostergemeinschaft anerkannt. Wir beten, arbeiten und haben von unseren muslimischen Brüdern und Schwestern die Elemente der Gastfreundschaft und des Dialogs übernommen«, fuhr Alistair weiter fort.
Dialog in Form von Selbstmordanschlägen? dachte Jan. Laut sagte er: »Ich will nicht unhöflich sein, aber wir sollten Yussefs Verbände wechseln und ihn dann ausruhen lassen.«
Alistair nickte. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Gästeraum, wir haben einen Notfallkoffer und alles, was Sie sonst noch so brauchen.«
»Woher kennst du ihn?«, fragte Jan Ed, als sie durch einen dunklen Gang gingen.
»Er war mit mir auf der Schule in Damaskus. Dann ging er zum Studieren in die USA und tauchte hier wieder auf. Letztes Jahr schrieb er mir einen Brief und bat um finanzielle Unterstützung für das Kloster. Ich fuhr hin und spendete ihm einen Generator.«
Jan schüttelte den Kopf. »Ego te absolvo. Und ich soll der Katholik von uns beiden sein?«
»Das war kein Ablass. Das hier ist wie eine Oase in der Wüste der Intoleranz und der Feindschaft der Religionen.«
Sie erreichten das Schlafzimmer. Grob gekalkte Wände, Lehmfußboden, vier Holzbetten, ein Tisch, ein Waschbecken und ein Kreuz. Mehr Mobiliar gab es nicht.
Alistair legte eine Hand auf Jans Schulter: »Wenn Sie mögen, kommen Sie noch einmal herunter in das Refektorium, wir sitzen da auf der Terrasse und trinken noch einen Wein.«
Mar Musa Ehad, 14. 06., 0.10 Uhr
Der Mensch sei biegsam wie ein Schilfrohr und nicht starr wie eine Feder.
Aus: Talmud, Bavli Taanit 20
Nachdem er den Jungen auf eines der Betten gelegt hatte, säuberte Jan sorgfältig die Wunden, desinfizierte sie und wechselte die Verbände. Danach wusch er sich mit dem kalten Wasser aus einer Zisterne. Es tat gut und beruhigte den Bienenschwarm an Gedanken und Eindrücken in seinem Kopf.
Dann gesellte er sich zu Ed und dem Abt. Auf der Terrasse saßen die drei auf wackeligen Holzstühlen und blickten zu einem großartig hellen und funkelnden Sternenhimmel hinauf. Ed reichte Jan ein Weinglas und hielt ihm eine Schüssel mit Pistazien hin.
»Sie haben heute einem jungen Mann das Leben gerettet«, sagte Alistair, ohne seinen Blick vom Himmel zu wenden. »Sie sind zwar Arzt, aber Sie hätten sich auch anders entscheiden können. Das ist sehr mutig.«
Ohne groß nachzudenken, erwiderte Jan: »Und jetzt stecke ich ziemlich in Schwierigkeiten, oder?«
Ed mischte sich ein. »Spätestens morgen früh wird man die Leichen der Männer finden. Klar, dass man den Geheimdienst einschalten wird. Man wird mich suchen, keineFrage, aber du bist raus aus der Sache. Von unserer Verbindung weiß hier keiner etwas.«
Eds letzte Bemerkung beruhigte Jan ein wenig. »Was, glaubst du, könnte hinter dieser Sache stecken? Du kennst das Land. Was hat es mit den Vorgängen in der Burg auf sich?«
Statt Eduard antwortete Alistair. »Sie müssen wissen, dass es sich bei Syrien um ein besonderes Land handelt. Eigentlich gibt es den Syrer als solchen nicht. Das Land ist ein riesiges Sammelbecken verschiedener Gruppierungen religiöser, ethnischer und politischer Ausrichtungen. Es wird von staatlicher Seite immer wieder betont, dass alles und alle friedlich neben- und miteinander leben würden. Aber klar ist, im Nahen Osten lebt niemand dauerhaft friedlich miteinander. Syrien ist ein riesiger Kessel, der von Interessengruppen unter Feuer gehalten wird. Im Norden grenzen wir an die Türkei. Die Türken drehen dem Land gern und häufig in den Sommermonaten das Wasser des Euphrats ab, so dass in den Vororten von Damaskus nur heiße Luft aus dem Hahn kommt. Zudem unterstützen die Türken die Israelis im Süden unseres Landes. Im Osten liegt der Irak, der uns seit dem ersten Krieg hasst, jetzt haben ihn die Amerikaner besetzt, die uns ebenfalls hassen, aber Flüchtlinge gern über die Grenze schieben. Im Süden dann Jordanien, seit alters her wegen seiner Nähe zu Israel unser Feind. Der Libanon im Osten ist mehrheitlich auch arabisch. Syrien sieht diese Region zumindest als sein ureigenes Interessengebiet. Es ist aber wegen seiner zehn Prozent Christen nach dem Krieg
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