Der Lilith Code - Thriller
geistigem Beistand. Vielleicht hilft das bei dem gottlosen Holländer.«
Die drei Männer begaben sich auf die Terrasse. Noch war es nicht heiß, dennoch erwies ein Sonnensegel über ihnen schon wertvolle Dienste. Eduard kramte eine zerknüllte Zigarettenschachtel aus der Innentasche seiner Jacke. Jan blickte in die Schlucht hinab, kaum vorstellbar, dass sie es gestern Nacht noch geschafft hatten, hier hinaufzugelangen. Allerdings hatte er einen furchtbaren Muskelkater. Die Sonne stieg über der Wüste des Jebel Deir Atiye auf.
»Ehe ich mir von meinem neuen deutschen Freund Vorwürfe anhöre, fasse ich mal alles zusammen«, erklärte Eduard. »Wir waren im Crac des Chevaliers, als wir Schreie hörten. Der Junge wurde nicht überfallen, er sollte ritualisiert gefoltert und getötet werden. Und das in einer Form, die für Muslime eher schändlich ist. Die Typen hatten Waffen und wollten bestimmt keine Zeugen. Sie kamen nicht von der örtlichen Polizei, sondern hatten eher den dunklenCharme einer Miliz oder Söldnertruppe. Im Übrigen wirkten sie äußerst entschlossen. Das heißt, mit Hilfeholen wäre nichts gewesen. Also entschloss ich mich zu dieser zugegebenermaßen harten Lösung. Wenn ich die Funde da drinnen auf dem Tisch so sehe, die Tätowierungen im Nacken der Killer und das alles mit diesem Land in Verbindung bringe, glaube ich, nein, weiß ich, dass wir hier einer hübschen Geschichte auf der Spur sind.«
Der Mönch schaute Eduard durchdringend an. »Was für Tätowierungen?«
»Die Männer hatten alle im Nacken ein Unendlich-Zeichen.«
»So wie diese hier?« Jan hatte mittlerweile die Kladde weiter durchgeblättert. Er drehte sie auf dem Tisch, so dass die beiden anderen das Zeichen ebenfalls sehen konnten. Über zwei Seiten waren verschiedene Formen des Unendlich-Zeichens in das Buch gemalt worden.
»Ja, genau«, erwiderte Ed.
»Kannst du damit was anfangen, Alistair?« Jan schaute noch einmal hin. »Von hier sieht es aus wie eine Acht.«
»Der Junge muss hier bleiben. Weiß jemand, dass ihr hier seid?«, fragte der Mönch, ohne auf Jans Frage einzugehen.
»Nein, ich habe gestern Abend vom Handy eines Syrers an der Tankstelle telefoniert. Mein Telefon habe ich nicht benutzt, wir konnten nicht abgehört werden und wurden auch nicht verfolgt.« Jan schaute Eduard etwas befremdet an. Er wäre auf so etwas nicht gekommen.
»Hier ist nur Bruder Anselm«, meinte der Abt. »Die anderen Mitglieder unserer Gemeinschaft sind in Damaskus und Aleppo, Baumaterial und Lebensmittel holen. Sie kommen erst übermorgen wieder. Wie genau sehen die Verletzungen des Jungen aus?«
Jan beschrieb kurz Yussefs Verletzungen. »Er leidet an einem Schädel-Hirn-Trauma. Muss nicht gefährlich sein. Hängt vom Grad des Traumas ab.«
Ed wirkte ernst. »Wenn er wieder bei Bewusstsein ist,quetschen wir ihn ein wenig aus. Woher er kommt, was die Jungs wollten, wo wir ihn hinbringen sollen.«
Jan nickte. »Mit der Befragung sollten wir allerdings noch warten. Yussef hat starkes Fieber.«
»Was besagt diese Acht?«, fragte Ed den Abt.
Der Mönch blinzelte kurz, ehe er antwortete: »Ich bin kein Mathematiker, aber vor allem bei den Mystikern haben die kleinen Zahlen wie die Drei oder die Acht eine besondere Bedeutung. Die Acht ist zwei mal zwei mal zwei. Dabei ist die Zwei die Zahl der Symmetrie. Vier ist die doppelte Symmetrie. Und acht verdoppelt das Ganze. Die dreifache Symmetrie. Die unendliche Schönheit der Dreieinigkeit. Ich weiß das, weil ein Restaurator, der vor einigen Jahren unsere Fresken in der Kapelle bearbeitete, mir so den Aufbau des Jüngsten Gerichts erklärte. Im Übrigen fängt die neue Woche mit dem achten Tag an, die Auferstehung bei uns Christen, der ressurrectio Domini.«
Jan nahm sich ein wenig Fladenbrot, tauchte es in den köstlichen Honig aus Akazien und blätterte weiter in der Kladde. Die Handschrift schien einer Frau zu gehören, aber es gab keinen Namenseintrag. Den Datumsangaben zufolge lagen die Eintragungen länger zurück. So stammte ein Eintrag aus dem März 1999.
Plötzlich kam Anselm mit schnellen Schritten und rudernden Armen aus der Halle auf sie zu. In einem schwerverständlichen Italienisch schrie er: »Schnell, Yussef stirbt!«
Sie eilten den Gang entlang zu ihrem Gästezimmer. Der Junge lag in seinem Bett, vor ihm Erbrochenes. Jan beugte sich über ihn, drehte vorsichtig seinen Kopf, öffnete den Mund und zog die Zunge heraus. Er tastete nach den Puls, nahm eine
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