Der Lilith Code - Thriller
Sekunden erreichten sie das Ende des Dorfes. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr Eduard weiter auf dem Bergrücken Richtung Süden.
Nach fünfzehn Minuten hatten sie die Schnellstraße nach Homs erreicht. Sie hielten an einer Tankstelle, die ein Bretterverschlag mit einem leuchtenden Getränkeautomaten und zwei Zapfsäulen war. Es war mittlerweile stockdunkel, gelbe Straßenlaternen warfen nur wenig Licht. Ab und an fuhr ein Lkw donnernd auf der M1 Richtung Damaskus vorbei. Der junge Araber war noch immer bewusstlos und hatte von dem ganzen Tumult nichts mitbekommen. Jan stieg aus, griff nach seiner Tasche und öffnete die Beifahrertür. Irgendwo bellten Hunde. Es roch nach Holzbrand. Ed blickte ihn verdutzt an.
»Du hast uns … Egal … Lass mich nach deiner Wunde sehen.« Jan griff nach Eds Kopf und nahm wieder die Taschenlampein den Mund. Harmlose Schnittwunden überzogen die Wange des Holländers. Vorsichtig zog er mit einer Pinzette zwei größere Glassplitter heraus, sprühte etwas Betaisodona darauf und klebte ein großflächiges Pflaster darüber.
Ed sprang aus dem Auto und ging langsam auf die Hütte zu. Jan sah, wie er einen jungen Syrer ansprach, der davor an einem Auto lehnte, lachte und dann sein Handy dem Holländer gab. Dieser drehte sich in die Richtung ihres Autos, nickte Jan kurz zu und sprach dann weiter.
Jan schaute auf den Jungen im Wagen. Er war siebzehn, höchstens zwanzig Jahre alt. Dunkle, lockige Haare, olivfarbene Haut, muskulös, aber eher drahtig. Leichter Flaum hatte sich um seine Lippen gebildet. Yussef, du bist ein hübscher Kerl, dachte Jan, was haben die von dir gewollt? Was hast du da gemacht?
Der Junge stöhnte. Das Sedativum ließ langsam nach.
Die Tür wurde aufgerissen, Ed stieg ein. »Ich weiß, wo wir unterkommen können.«
»Halt! Wieso wir? Warum sollte ich da mitmachen? Du hast die Typen ohne Grund abgeknallt. Du bist geflohen, statt die Polizei zu holen. Ich bin raus. Ich lasse mich von dir nicht in eine krumme Nummer hineinziehen. Ich bin Arzt!«
Eduard rieb sich über die Augen. Leise sagte er: »Du steckst schon tief mit drin, Bruder.«
»Wieso? Mich hat keiner gesehen.«
»Du hast als Arzt die verdammte Pflicht, dem Jungen zu helfen. In ein Krankenhaus kannst du ihn nicht geben, dann kommen Fragen, die Polizei und unweigerlich der Knast – zumindest vorübergehend. Gehst du in ein Hotel, weiß es noch heute Abend die Sicherheitspolizei. Und dann folgt die gleiche Nummer. Also lass uns den Jungen sicher unterbringen, dann sehen wir weiter. Und hör auf mit deiner Jammerei. Hast du das bei Operationen auch so gemacht?«
Eds Worte brachten Jan noch mehr auf. »Ich will hier raus. Sieh zu, wie du das erklärst.«
»Du willst den Jungen sterben lassen?«
»Seine Wunden sind nicht tödlich.«
»Ich rede nicht von den Wunden.«
Jan schaute in das Schwarz der Nacht. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass er diesmal nicht fliehen konnte – nicht so, wie er es im letzten Jahr getan hatte. Er schloss kurz die Augen und sagte dann: »Okay. Wohin willst du?«
»Ich kenne einen Freund in den Bergen südöstlich von hier. Er steht einem Kloster vor, das völlig abseits liegt. Da fahren wir jetzt hin.«
Ed startete das Auto. Der Junge stöhnte. Jan beugte sich über ihn, fühlte die Stirn. Sie war heiß. Die aufgerissenen Lippen des Jungen bewegten sich, als wolle er etwas sagen, aber nur ein Krächzen war zu hören.
»Was ist mit ihm?«, rief Ed von vorn.
»Er halluziniert. Kommt von der Medikation.«
Einen Moment später wurde aus dem Krächzen eine Melodie, der Junge begann zu singen.
»Was hast du ihm gegeben – Haschisch?« Ed lachte, hielt aber dann inne. »Das ist nicht Arabisch, das ist was anderes – Armenisch?«
Yussef hob den verbundenen Arm und griff nach Jans Jackentasche. »Was ist? Ruhig, du darfst dich nicht so hastig bewegen. Lass mal die Hand, wo sie ist.« Jan drückte den Arm wieder zurück, spürte aber, wie der Junge sich gegen seinen Griff wehrte, und ließ ihn los.
Der Junge griff in die Tasche, zog Jans Smartphone heraus. Er sang weiter, offenbar immer die gleiche Strophe.
»Ich glaube, er will, dass ich seinen Gesang aufnehme«, erklärte Jan. Er drückte auf die Menütaste, und plötzlich sang der Junge noch lauter und deutlicher. Es schien ihn allerdings sehr zu erschöpfen. Nach wenigen Minuten brach er ab und sank zurück in Jans Schoß.
»Was sollte das denn?«, fragte Ed vom Fahrersitz. »Einen Plattenvertrag gibt’s dafür
Weitere Kostenlose Bücher