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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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Zigarette an, und der ganze Hinterhof füllte sich mit hellblauem Rauch. Es schneite nicht mehr, die Mülltonnendeckel waren mit Schnee bedeckt, die flauschige Schicht Schnee leuchtete orange. Das Licht erhellte den Hinterhof wie eine Theaterbühne, und Marcins Worte erfüllten Bartek und seine Freunde mit Hoffnung und Tatendrang. Sie waren zumindest aufgeregt und wollten nicht mehr über den Sinn oder Unsinn der abgebrochenen Schachpartie debattieren, sie fühlten sich eher wie Verbrecher, die den nächsten Bankraub planten.
    Marcin wiederholte im militärischen Ton den Termin: »Wir sehen uns am Samstag im Yachtclub! Meine Soldaten! Ich habe euch etwas Wichtiges zu sagen.«
    Von Zeit zu Zeit, vor allem im Sommer, gingen die Jungen zu Antons Opa, um ihm bei der Arbeit zuzuschauen, Bier zu trinken und Pläne für die Zukunft zu schmieden – ihre Träume waren ihnen heilig. Sie nannten den Yachtclub poczekalnia , Warteraum, wobei Romek ein seltener Gast ihres Warteraums war; der Yachtclub − die zwei Garagen, in denen Antons Opa sich mit seiner Werkstatt ausgebreitet hatte − war schon etwas Besonderes: Da versuchte ein alter Mann, seinen Lebenstraum zu verwirklichen, indem er seit Jahren an einer vollkommenen und, was Schönheit und Technik anging, unschlagbaren Yacht baute. Am städtischen Baggersee, der im Jargon von Dolina Ró ż der Molkereisee hieß, fühlten sich Bartek, Anton und Marcin frei, sie konnten über ihre Geheimnisse, Träume und Sorgen so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
    Marcin sagte: »Bevor ich nach Amerika gehe, müssen wir unseren Eltern einen Denkzettel verpassen! Wir werden ihre Zivilisation und Kultur vollständig vernichten – meine Idee ist bitterernst, und mein Plan sieht vor, dass wir Pyromanen werden. Wir werden zwar mit unseren Sabotageakten und Attentaten langsam anfangen, aber im Prinzip sollen die wichtigsten Gebäude unseres Städtchens in Brand gesteckt werden. Die Einkaufsläden am Markplatz, die St.-Johann-Kirche, das Parteigebäude, das Kulturhaus, das Kino Zryw und das Kreisamt. Also, wir könnten mit Herrn Tschossneks Frisiersalon anfangen. Oder mit der Schusterwerkstatt von Herrn Lupicki!« Nach dem letzten Satz schaute er Bartek kurz in die Augen. Er hatte bei seinem Vortrag nicht glaubwürdig geklungen, sein angeblicher Plan war der eines verwöhnten Söhnchens, dessen Vater ein Parteifunktionär und Mitläufer war; Bartek und Anton wussten, dass sich der Aristokrat des Denkens und Handelns als Revolutionär und ein Mann der Tat aufspielte, um sich wichtig zu machen. Romek schien ähnlicher Auffassung zu sein, allerdings sagte er ein paar Sätze, die niemand eindeutig interpretieren konnte: »Jungs! Ich bin dabei! Vielleicht lernen wir uns dann besser kennen …«
    »Ach ja …«, meinte Marcin.
    Das Schusterkind und Anton schwiegen, und dann kam der Bucklige Norbert angetrippelt, der Marcin nicht willkommen war, da er befürchte, Herrn Lupickis Sohn würde sie verraten.
    »Er tut immer so, als würde er nichts verstehen«, sagte Marcin. »Dabei ist er ein schlauer Fuchs, und wenn man ihn ein bisschen ausquetscht, kann er auch plötzlich sprechen …«
    Norbert lächelte freundlich und bat Bartek um eine Zigarette. Die rechte Hand des Buckligen war zu einer Faust geballt, und als er sie öffnete, rieselten Mariolas honigfarbene Löckchen auf den Schnee.
    »Feuer, Feuer«, sagte er und zog an der Zigarette, die ihm Marcin gegeben hatte.
    »Ja, du wirst bald die ganze Stadt in Flammen sehen«, sagte Marcin.
    »Aber wenn du nach Amerika auswandern willst«, meinte Romek, »warum soll dann Dolina Ró ż in Schutt und Asche gelegt werden?«
    Marcins Gesicht verfärbte sich blau, seine Gestik wurde auf einmal aggressiv, er fuchtelte mit den Armen und zeigte mit der rechten Hand auf den Buckligen Norbert: »Wollt ihr so werden wie er? Wollt ihr, dass euch ein Buckel wächst und dass ihr überall ausgelacht werdet? Nein, liebe Freunde, bevor ich nach Amerika gehe, werde ich mich an den Kommunisten rächen. Und ihr werdet mir dabei helfen. Unsere Aktion, denn wir sind Auserwählte, wird ›Unde malum‹ heißen!«
    Das Schusterkind fragte: »Was bedeutet das?«
    Aber Marcin gab ihm keine Antwort. Er sagte lediglich: »Wir treffen uns am Samstag.«
    Sie rauchten ihre Zigaretten zu Ende, dann wandte sich Bartek an den Buckligen Norbert und bat ihn darum, er möge ihm zwei Weckgläser budapren aus der Werkstatt seines Vaters stehlen. Zwei Weckgläser würden reichen;

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