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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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inkonsequent. Aber der Aristokrat des Denkens und Handelns bemerkte dazu: »Überall gibt es Ausnahmen: ›Apocalypse Now‹, ›Citizen Kane‹ oder ›Psycho‹ sind sicherlich großartige Ausnahmen des amerikanischen Films – im Großen und Ganzen geht es mir aber nicht um Abenteuersuche im Stile des letzten Mohikaners, sondern vielmehr darum, dass ich auch ein Zeitzeuge sein will. Die Weltgeschichte darf mich nicht vergessen, aber wenn du in unserem Städtchen an der Luna lebst, wird sie dich vergessen. In Dolina Ró ż ist die Weltgeschichte noch längst nicht angekommen. Die wahre Revolution des menschlichen Geistes findet in Amerika statt, im von den Menschen erträumten Paradies also – in meinem gelobten Land, und ich will dabei sein, wenn das Böse für eintausend Jahre von der Erdoberfläche verjagt und in ein dunkles Verlies eingekerkert wird! Doch bis dahin müssen wir uns mit kleineren Revolutionen begnügen! Der Protest der Werftarbeiter in Gda ń sk ist so ein kleiner Schritt nach vorn, und unsere Aktion ›Unde malum‹ wird nicht schlechter ausfallen! Das verspreche ich dir!«
    »Wir müssen leise sein!«, erklärte er im Flüsterton, und bevor er mit der Vorstellung seiner apokalyptischen Theorien wieder fortfahren konnte, suchte er in den Schuhkartons, in denen er seine MCS aufbewahrte, nach passender Musik. Er wählte eine Kassette und legte sie in seinen geliebten Grundig ein: Das Live-Stück »Stummes Kino« erzählte zwischen den Zeilen von den uniformierten Häschern der Regierung und den Straßendemonstrationen. Dann sagte er: »Mein Vater ist, wie du weißt, bei uns in Dolina Ró ż ein hohes Tier. Er hat mir erzählt, dass die Miliz gestern Abend Schtschurek festgenommen hat. Angeblich hat er den kleinen Tanklaster der Armee, der fast leer gepumpt gewesen sein soll, mit einem Molotowcocktail beworfen, dann ist der brennende Tanklaster mit dem LKW und den Kühen auf dem Sattelanhänger zusammengestoßen. Schtschurek hat im Hinterhof des Frisiersalons unser Gespräch belauscht. Jedenfalls muss irgendjemand meinem Alten unsere Pläne verraten haben. Du kennst sein heimtückisches Lächeln. Er steckt dir das Messer ins Herz und lächelt dabei – er sagte mir nämlich, dass wir beobachtet werden … Man hätte über uns eine Akte angelegt – mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen, wenn sie eine Akte über dich angelegt haben …«
    Bartek tat so, als würde er nicht verstehen, dass es sich bei den Akten des sb um belastendes Beweismaterial handelte; er zuckte bloß mit den Schultern und sagte: »Wir sind doch völlig harmlos – was können wir minderjährige Schüler ihnen antun? Nichts! Das ist wohl sonnenklar. Ich hätte natürlich nichts dagegen, dass wir berühmt werden … Aber vielleicht müssen wir unsere Aktion ›Unde malum‹ vorerst abblasen – was meinst du?«
    »Niemals! Wie soll man etwas beenden, das man nicht einmal angefangen hat?!«, ärgerte sich Marcin.
    Bartek bekam plötzlich Angst, doch nicht vor dem Jugendheim und Gefängnis, sondern davor, dass er womöglich im Begriff war, eine große Dummheit zu begehen, die wiederum seine Fluchtpläne zum Scheitern bringen könnte. Diese durfte wirklich niemand erfahren; er war wütend auf sich selbst, dass er sie seinem Opa Franzose verraten hatte. Er konnte sich im Augenblick nicht daran erinnern, ob er sie auch schon einmal vor Anton oder Marcin erwähnt hatte, dem er endlich seinen Aufsatz zeigte.
    »Ich frage mich, wer uns verpfiffen hat …«, sagte Marcin nach kurzem Schweigen. »Dieser Drecksack Romek? Oder Anton? Na, wie auch immer – deinen Aufsatz lese ich gleich, ich bringe ihn heute Abend mit in den Yachtclub! Und jetzt musst du gehen! Ich habe heute noch viel zu tun: Jeden Samstag lerne ich Englisch. Eine Buchempfehlung zum Schluss – so viel Zeit muss sein: Lieber Freund, lies bitte mal ›Das Gastmahl‹ von Platon. Bei einem Trinkgelage kann man manchmal über die Kunst des Eros mehr erfahren als im Bett mit einer Frau – das hat mir Platon klar gemacht! Ich hoffe, dir wird es bei der Lektüre nicht anders ergehen!«
    »Ich werde mir das Buch ausleihen! Ich hätte da noch eine Frage: Stimmt es, dass du mit Mariola ein Verhältnis hast?«
    Marcin baute sich vor dem Schusterkind auf, kratzte sich an der Brust und sagte voller Stolz: »Ja!«
    Wie Barteks Mutter einmal ein Hollywoodstar oder wenigstens eine Pariser Olympia-Diva werden wollte
    Im Frühling 1978 , als Bartek in der dritten Klasse war, kam nach

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