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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: weissbooks
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wurde. Doch sie war glücklich, denn sie hatte anderen Frauen aus Dolina Ró ż bewiesen, wie schwer es war, eine Hollywood-Diva zu sein, im Rampenlicht zu stehen, heller als tausend Sonnen.
    Bartek hatte in dieser Fernsehnacht das erste Mal um das Leben seiner Mutter gebangt.
    Nach dem Besuch bei Marcin ging das Schusterkind zu Oma Olcia zurück. Den Rest des Tages verbrachte es mit Opa Franzose, seinen Büchern und Oma Olcias Köstlichkeiten aus ihrer Küche. Der Franzose lag auf dem Sofa und klagte über sein Land und die Unfähigkeit seiner Landsleute: »Sie träumen davon, die Welt zu beherrschen; sie geben es natürlich nicht zu, aber sie wollen in Wahrheit auch eine Großmacht sein − wie Russland oder Amerika. Und was haben sie der Welt zu bieten? Polnisches Leinen! Mehr nicht! Arme Länder haben nur Leinen und Frauen zu verkaufen. Guck dich doch bei uns nur richtig um, Bartek. So gut wie nichts können wir selber herstellen – außer ein paar Lappen! Alles kommt aus dem Ausland! Unsere heimischen Autos und Fernseher sind ein Haufen Schrott oder Lizenzen aus dem Ausland, und gäbe es Westeuropa nicht – und ich meine nicht irgendein Westeuropa, von dem sie uns ständig irgendetwas erzählen, sondern ein richtiges Abendland, das mit dem Ostblock nichts zu tun haben will −, würde der polnische Mann auf einem Esel reisen: in der linken Hand ein Stück Wurst, in der rechten eine Zigarette, und an seinem Leib ein Bauernrock aus Leinen! Ich bin Eisenbahner! Ich weiß, wie es in unserem Land aussieht! Ich habe es kreuz und quer bereist! Aber es werden noch andere Zeiten kommen. Ihre Träume, eine internationale Großmacht zu werden, wollen um jeden Preis in Erfüllung gehen. Bloß dieses Neugeborene wird genauso lieblos sein wie ihr Denken. Ein Kind, das eine Frau oder ein Mann mit sich selbst zeugt, mag zwar mit vier Beinen auf die Welt kommen, aber dafür wird es keine Augen oder Ohren haben. Es werden ihm die Arme fehlen, und seine Zunge wird gespalten reden wie die eines Dämons, der um seine Hässlichkeit weiß und darum zum blutrünstigen eiskalten Diktator wird. Und so werden sie eines Tages ein Polen gebären, das endlich eine internationale Großmacht sein wird …«
    Die Klagen des Franzosen hörten nicht auf, und in seinen Verschnaufpausen las er ein paar Seiten in einem Buch oder er schaute fern. Er war kein Eisenbahner mehr, kein Vater mehr von drei erwachsenen Töchtern, um die er sich so selten in ihrer Kindheit gekümmert hatte: Er verwandelte sich in ein verbittertes antiquiertes Werk eines Philosophen, der sich von den Menschen verkannt fühlte, der wie ein herrenloser Hund in den labyrinthischen Straßen einer Metropole herumirrte und nicht einmal mehr richtig bellen konnte. Olcia schaute ihren Mann ab und zu an, griente und schüttelte den Kopf, ihr Blick sagte: »Eine Frechheit! Wer bist du denn? Ein Richter? Ich kann dir sagen, wer du bist! Ein Zinnsoldat, der nichts zu melden hat! In einer Nussschale treibst du auf offenem Meer und schwingst Reden wie ein Schiffskapitän!« Sie saß am Kachelofen auf einem Hocker, summte Lieder zum Lobe der Jungfrau Maria und strickte einen Pullover für einen ihrer kleinen Enkel. Sie sagte: »Hüte deine Zunge, Franzose! Du lästerst wieder! Deine Brüder und Schwestern werden es dir diesmal nicht so leicht vergeben wie vor fünf Jahren, als du wieder einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht warst, um uns zu belehren. Und deine Tochter wird nie ihren Fuß in mein Haus setzen …«
    Olcia lebte nach wie vor auf dem Lande im Großpolen der Zwanzigerjahre, sie lebte auf dem Bauernhof ihres Vaters, der ein Schmied und Quacksalber gewesen war. Er heilte Tiere und Menschen und hatte auch in beiden Weltkriegen gegen die Deutschen gekämpft. Der Franzose sagte über die Herkunft seiner Frau, wenn er besonders wütend auf sie war, Olcia sei im Pferdestall geboren worden, ihr Vater habe wie ein Zentaur ausgesehen, und Olcias Mutter sei selbst noch nach der Geburt ihres elften und letzten Kindes eine Jungfrau gewesen.
    Als der Abend anbrach und der Termin im poczekalnia , im Warteraum des Yachtclubs am städtischen Baggersee, näher rückte, war Bartek erleichtert: Er mochte den Monologen und Tiraden des Franzosen nicht mehr zuhören, und seine Streitgespräche mit Olcia begannen, ihn zu langweilen.
    Olcia schmierte ihrem Enkel ein paar Brote, die er zu dem Treff mit seinen Freunden mitnahm. Oma Olcia konnte nie ihre Verärgerung verbergen, wenn sie erfuhr, dass ihr

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