Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
Bewegungen ihres Körpers unter seinem.
»Wie ein unsichtbarer Geliebter«, bemerkte Danni, die seine Erinnerungen irgendwie erraten hatte, leise.
Was meinte sie mit »unsichtbarer Geliebter«?, fragte Sean sich stirnrunzelnd. Ein Teil von ihm wusste es allerdings, ein Teil, der sich ins Dunkel flüchtete, wenn Dannis heller Strahl ihn suchte. Was er mit Molly gehabt hatte, war real genug gewesen, auch wenn er sich heute nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern konnte. Vielleicht nicht so lebendig, nicht so feurig wie das, was Danni und er an diesem Morgen miteinander erfahren hatten. Der Gedanke ließ Sean innehalten. Er wusste ja nicht einmal mit Sicherheit, ob sie überhaupt etwas miteinander erfahren hatten, oder?
Einen Moment lang kaute er nur stumm an seiner Unterlippe und fragte sich, was hinter Dannis schönen grauen Augen vor sich gehen mochte. Sie saß reglos da, die Arme noch immer um die Knie geschlungen, und ihre Starre kam ihm so unnatürlich vor, als wäre sie plötzlich in Gips gegossen und so stark gehärtet worden, dass die kleinste Bewegung sie in eine Million pulvriger Fragmente zerbrechen könnte.
»Sean, es gibt da etwas, was ich wissen muss ...«
Sie unterbrach sich, und er wartete und spürte, wie sich seine Brust zusammenkrampfte. Was musste sie wissen? Was würde sie sagen? Die unausgesprochenen Worte schienen sie niederzudrücken und in ihrer Kehle festzustecken. Und Seans Instinkt riet ihm, sie jetzt nicht zu bedrängen. Sie nicht zu zwingen, diese Worte auszusprechen - weil er sie auch gar nicht hören wollte.
Als erriete sie seine Gedanken, befeuchtete sie ihre Lippen und wandte den Blick ab, und ein irritierendes Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Was immer sie hatte sagen wollen, sie hatte es sich anders überlegt.
»Ich ... ich wollte nur fragen, wann deine Mutter ... wann du sie verloren hast?«
Seans Erleichterung verflog so schnell, wie sie ihn erfüllt hatte. Danni konnte nicht wissen, was für Stachel ihre Frage barg, aber sie bohrten sich in seine Haut und zerfetzten ihm das Fleisch.
»Ich habe dir doch schon erzählt, dass das vor fünf Jahren war - von heute an gerechnet, meine ich. Ich war neun, als es geschah.«
»Warst du wirklich dort?«
Er nickte. »Und mein Bruder auch.«
»Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hattest«, sagte sie.
Darauf erwiderte er nichts. Selbst heute war es noch zu schmerzlich für ihn, darüber zu reden.
Er blickte auf und sah den Kummer, der in Dannis Augen trat. Sie kannte die Einzelheiten nicht, doch sie hatte wohl erraten, dass sie tragisch waren. »Wie kam es ... ich meine, wieso ist Niall nicht ins Gefängnis gekommen?«
Sean holte tief Atem, als er sah, dass sie Einzelheiten verlangen würde. Er konnte sie ihr nicht verschweigen, erkannte er plötzlich. »Meine Mutter hatte ein sehr unbeherrschtes Naturell, und wenn sie trank, war sie durch nichts zu bändigen«, sagte er leise. »Sie schnauzte den Metzger mit der gleichen Wut an wie ihren Ehemann - jeder hatte ihre Wutanfälle schon erlebt. An jenem Tag - dem Tag, an dem sie starb - war sie besonders stark betrunken und noch viel wütender als sonst. Sie griff meinen Vater mit einem Messer an, und sie kämpften darum. Es ging so schnell, dass ich nicht mal wusste, was passiert war, bis ich sie mit dem Messer in der Brust auf dem Boden liegen sah.«
Danni wollte etwas einwenden, unterbrach sich aber wieder.
»Sag es ruhig - was auch immer es ist, du kannst es ruhig sagen, Danni.«
»Nun ja, wenn sie um das Messer kämpften, mit dem sie deinen Vater angegriffen hatte, klingt es wirklich wie ein Unfall, Sean. Gibt es einen Grund, warum du glaubst, er hätte es absichtlich getan?«
Frag nicht!, hätte Sean beinahe geschrien. Frag mich das nicht! Unwissenheit war der einzige Ausweg aus dem dunklen Labyrinth um sie herum. Was sie nicht wusste, konnte ihr nicht schaden und ihre Hoffnungen nicht zunichtemachen.
»Mal abgesehen davon, dass er doppelt so groß war wie sie, meinst du?«
Danni nickte, während ihre großen grauen Augen prüfend über sein Gesicht glitten und bis in seine Gedanken hineinzublicken schienen, auf der Suche nach etwas, das er nicht ganz verbergen konnte. Als sie plötzlich ihren Blick abwandte, wusste Sean, dass sie es gefunden hatte.
»War es wegen meiner Mutter?«, flüsterte sie.
Die Frage hing zwischen ihnen wie eine unsichtbare Linie, die er nicht überschreiten wollte. »Ich glaube schon«, antwortete er jedoch ganz ehrlich, weil er
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