Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
erst mal geöffnet ist.«
Danni schluckte krampfhaft. Was denn sonst noch? Was kam sonst durch?
»Wollen Sie seine Magie sehen?«, fragte Rory.
»Ich habe Magie schon oft genug erlebt«, begann Dáirinn in bedeutungsvollem Ton. »Schon ganz oft. Eines Nachts flog ich von meinem Schlafzimmer zum Hafen und sah, wie mein Cousin sich in den Fangnetzen verhedderte. Er wurde von ihnen unter Wasser gezogen, und keiner merkte es. Ich habe es meiner Mum erzählt, und sie sagte es Onkel Patrick, der von da an meinen Cousin besser im Auge behielt. Und wenn mein Onkel unter Deck war, wer hätte sich auch sonst in den Netzen verheddern und untergehen können als mein Cousin? Mein Onkel hätte es nie erfahren, wenn Mum es ihm nicht gesagt hätte, aber so wusste er es und zog das Netz hinauf, und darin lag mein Cousin und war schon fast ertrunken.«
»Dann hast du ihm also das Leben gerettet?«, stellte Danni fest und durchforstete vergeblich ihre Erinnerung nach dem Ereignis.
»Ja«, fuhr Dáirinn fort. »Und eines Sonntags hörte ich Pater Lawlor in der Kirche sagen, sie sei in der Nacht zuvor von einem armen Teufel ausgeplündert worden, der glaubte, Jesus habe ihn verlassen. Der Pater sagte, da es ganz bestimmt Jesus war, der den Mann zu der Kirche geführt hatte, weil sie dort Arbeiter benötigten, hätte er dem Mann geholfen. Wäre er mit offenen Händen und offenem Herzen gekommen, dann hätte er Nahrung und Zuneigung erhalten. Und deshalb flog ich in die Nacht zuvor zurück, um dem armen Mann zu sagen, dass er nicht stehlen sollte, weil Jesus ihn liebte, und dass er am Morgen zu Pater Lawlor gehen sollte, der ihm Arbeit geben würde, wo Jesus alles überwachen würde, was er tat.«
Danni starrte Dáirinn an, blickte in ihr eigenes Gesicht und hörte die süße Stimme und die Aufrichtigkeit in ihrem Ton - und tief in ihrem Innersten begann sie, das lang verblasste Echo der Erinnerung zu vernehmen. Sie konnte sich jene Nacht in der Kirche wieder vorstellen, sah sich durch die Türen gehen, ohne sie zuerst zu öffnen, und bemerkte den Bettler, der den geheiligten Altar ausplünderte. Er war zu Tode erschrocken gewesen, als er sich plötzlich einem Kind in einem weißen Nachthemd mit seidigen Locken und grauen Augen gegenübergesehen hatte. Er hatte Dáirinn für einen Engel mit einer himmlischen Botschaft für ihn gehalten.
Es war eine Vision gewesen, und trotzdem hatte der Mann sie gesehen und mit ihr gesprochen. Damals hatte sie die Zeit zurückversetzt und den Ablauf der Ereignisse verändert. Den Ausgang der Ereignisse verändert ...
»Sie kann nicht wirklich fliegen«, verriet Rory. »Sie bildet sich nur ein, sie könnte es.«
»Und du kannst nicht wirklich mit den Pferden reden«, gab Dáirinn zurück.
»Ach, du bist ja nur neidisch«, behauptete er und wandte sich dann an Danni: »Es sind nicht nur Pferde, von denen ich etwas verstehe«, erklärte er stolz.
»Nein?«, fragte sie und dachte, dass es besser wäre, sich zu setzen. Sich so schnell wie möglich hinzusetzen.
»Mum hat gesagt, du sollst nicht darüber reden«, fuhr Dáirinn ihn vorwurfsvoll an.
»Das hat sie dir auch gesagt«, versetzte Rory scharf. »Aber deine Geschichte hast du ja schon ausgeplaudert, nicht?«
Dáirinn setzte eine finstere Miene auf und verschränkte ihre Arme. Danni beobachtete Rory und sah, wie er mit sich kämpfte, ob er noch mehr preisgeben sollte oder nicht. Aber sie erinnerte sich auch so schon wieder an die besondere Fähigkeit, die er besaß. Er verstand. Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Alle Arten, von Vögeln bis zu großen oder sogar wilden Tieren. Nicht mithilfe einer Sprache, sondern durch ein ganz besonderes Verständnis. Als würden ihre Wünsche und Bedürfnisse in Rorys Kopf zu Bildern werden. Und auch das war längst nicht alles, was er konnte.
»Einmal kam ein Mann an unsere Tür ...«, begann Dáirinn.
»Das ist meine Geschichte, die erzähle ich!«, fiel Rory ihr empört ins Wort.
Dáirinn kniff beleidigt die Lippen zusammen und lehnte sich zurück.
»Der Mann war ein Tourist«, nahm Rory den Faden auf, wo er seine Schwester unterbrochen hatte. »Und er sprach kein Englisch oder Gälisch oder irgendeine andere Sprache, die ich je gehört hatte.«
»Aber Rory wusste, was er sagte«, fiel Dáirinn wieder ein, »und konnte Daddy übersetzen, was er meinte ...«
»Ich sagte, ich erzähle die Geschichte«, fuhr Rory ihr scharf über den Mund.
»Dann mach schon!«
»Und ich konnte auch dem Mann in
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