Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

ergriff sie die Hand ihres Bruders und hielt sie fest in ihrer. Die Geste war weder zufällig noch ohne größere Bedeutung. Hätte Danni das nicht instinktiv gewusst, dann hätte es ihr der jetzt ganz ungewöhnlich ernste Gesichtsausdruck der Zwillinge verraten.
    Angesichts der engen Bindung dieser beiden Kinder kam sie sich plötzlich klein und abgewertet vor und hatte das Gefühl zu schrumpfen, während sich die Welt um sie herum erweiterte, bis sie selbst nur noch so etwas wie ein Staubkorn war, das jeden Moment fortgeweht werden konnte. Rorys ständig wechselnde Mimik brachte Danni zu der plötzlichen Erkenntnis, dass die Zwillinge auf diese Weise miteinander kommunizierten. Dass Dáirinn Rory auf eine komplexe und geheimnisvolle Art und Weise übermittelte, was immer sie auch wissen mochte. Momente später war es vorüber, und jetzt waren es zwei Augenpaare, die Danni mit diesem seltsam wissenden Blick betrachteten.
    Danni räusperte sich nervös und begann, Mehl aus einem Behälter herauszuschöpfen, um ihr Unbehagen zu verbergen. Was sie gesehen hatte, jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken, und sie war sehr verstört von der ruhigen Abgeklärtheit, mit der die Kinder sie betrachteten. Unwillkürlich fragte sie sich, wie Sean sich gefühlt haben mochte, als er sie an diesem Morgen angesehen hatte - hatte ihn da die gleiche Furcht erregende Unruhe erfasst?
    Nach einem tiefen Atemzug begann sie, die Zutaten in ihrer Schüssel zu vermischen.
    »Sind Sie wegen des Buches hier?«, fragte Rory plötzlich leise.
    Dannis Kopf fuhr hoch. »Was?«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass sie nicht weiß, warum sie hier ist«, wies Dáirinn ihn streng zurecht.
    »Ist das wahr?«, hakte Rory nach.
    Danni nickte wie betäubt und zog die Schultern hoch. Im Moment verließ sie sich auf gar nichts mehr, von dem sie vielleicht geglaubt hatte, es zu wissen.
    »War es dann meine Schwester, die Sie hierher gebracht hat?« Rory drehte sich auf seinem Stuhl, um Dáirinn anzusehen. »Warst du es, Dáirinn?«
    Danni hielt den Atem an, als sie auf die Antwort des kleinen Mädchens wartete. Aber Dáirinn schwieg. Sie erwiderte nur ruhig ihren Blick.
    »Wie sollte deine Schwester mich hierher bringen?«, fragte Danni, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete. Die Idee war zu kompliziert, zu bizarr, um sie auch nur in Betracht zu ziehen.
    »Sie haben das Buch gesehen, nicht?«, sagte Dáirinn schließlich. »Ich weiß, dass Sie es gesehen haben. Es ist Furcht erregend, nicht?«
    »Du hast es auch gesehen?«
    Dáirinn nickte. »Ja, und deshalb verstehe ich nicht, warum Sie es haben wollen. Es ist nichts Gutes.«
    »Weißt du, wo es ist?«
    Wieder führten die Zwillinge nur ein stummes Zwiegespräch, anstatt die Frage zu beantworten. Den Messbecher mit dem Mehl in ihrer Hand, stand Danni wie versteinert da und beobachtete die Kinder. Was sie im Moment verspürte, ging weit über Schock und Furcht hinaus. Ein uralter Fluchtinstinkt stieg tief aus ihrem Inneren auf. Sie musste hier weg!
    »Das Buch ... bewegt sich«, sagte Rory schließlich.
    Bewegt sich? Danni räusperte sich und stellte den Messbecher auf die Arbeitsplatte. Bemüht, sich ganz entspannt zu geben - was ihr jedoch kläglich misslang -, fragte sie: »Wie soll ich das verstehen, es bewegt sich? Du sprichst doch von dem Buch von Fennore?«
    »Ja«, antwortete Rory ernst.« Es war hier. Aber dann ging es weg, und wir wissen nicht, wohin.«
    »Wurde es vielleicht gestohlen?«
    Beide Kinder schüttelten den Kopf.
    »Wie könnt ihr da so sicher sein?«, fragte Danni.
    »Weil ich es spüre«, sagte Rory schlicht. »Das Buch spricht manchmal zu mir.«
    Dáirinn machte eine ärgerliche Bewegung bei seinen Worten, als missfiele ihr, dass er es ausgesprochen hatte.
    »Ich werde es niemandem erzählen«, versicherte ihr Danni schnell.
    »Das weiß ich«, sagte Dáirinn ungeduldig. »Oder glauben Sie, wir würden Ihnen sonst etwas erzählen? Aber ich weiß auch, was das Buch tun kann, und es ist nicht gut, davon zu reden.«
    Danni war die Brust schmerzhaft eng geworden, und ihre Kehle brannte. »Du weißt, was es tun kann, Dáirinn?«
    »Sie meint, sie weiß, was es mit den Menschen macht«, warf Rory leise ein.
    »Es macht sie verrückt«, erklärte Dáirinn.
    »Aber ...« Danni wählte sorgfältig ihre Worte, nicht mal sicher, was sie sagen wollte. »Ich dachte, es verliehe ihnen Macht.«
    »Ja. Das kann es. Und tut es auch. Doch das ist nicht alles, was durchkommt, wenn die Tür