Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
gesehen noch ein Motorgeräusch gehört, nicht einmal, als er gegangen war ... und auf seinem Passfoto hatte er so jung gewirkt - fast so jung wie auf dem Foto hier. Sie dachte daran, wie sie ihn auf der anderen Seite des Fensters hatte stehen sehen ... an das eigenartige Gefühl, dass ihre eigenen Gedanken ihn heraufbeschworen hatten ... und die seltsamen Blicke der beiden Kundinnen und ihrer Kinder, als sie im Geschäft mit Sean gesprochen hatte. Nicht sie waren es gewesen, die sich merkwürdig benommen hatten, sondern Danni, die mit sich selbst geredet hatte ... und als die Dame, die Teeservice liebte, gesagt hatte, sie sei schon zum Abendessen verabredet, hatte sie eigentlich nur Dannis Frage an Sean beantwortet: »Dann sehen wir uns später?«
Nein, das war unmöglich, selbst für Danni, deren Leben plötzlich so bizarr geworden war. Das Ganze hatte weder Hand noch Fuß. Nur in einer kleinen, dunklen Ecke ihres Herzens ergab es einen perfekten, grauenvollen Sinn.
Sie las noch einmal die Bildunterschrift unter dem Foto, diesmal aber laut, in der Hoffnung, den Worten mit dem Klang ihrer Stimme vielleicht eine neue Bedeutung zu verleihen.
Sean Michael Ballagh auf einem Foto, das nur wenige Tage vor seiner Ermordung aufgenommen wurde. Sein Leichnam und der einer nicht identifizierten Frau waren die einzigen menschlichen Überreste, die gefunden wurden.
5. Kapitel
D ie Ladenglocke klingelte und brachte Danni schlagartig in den Antiquitätenladen und zur Vernunft zurück. Es war Yvonne, die, ein Handy an ihr Ohr gedrückt, hereinkam. Diese kleine Frau mit dem kurzen, lockigen Haar und der etwas rundlichen Figur konnte einen ganzen Raum mit ihrem Lächeln erhellen oder aber auch Sturmwolken mit ihrem Zorn herunterbringen. Sie grinste jetzt, als sie sich verabschiedete und das Telefon zuklappte.
»Eine Biedermeiervitrine aus Birkenholz für zwei Tausender«, verkündete sie stolz.
Danni, die noch immer verwirrt und innerlich sehr aufgewühlt war, rührte sich nicht von dem Stuhl hinter der Theke. Ihre Gedanken kreisten nach wie vor um das, was sie gerade gelesen hatte. Sean Ballagh war tot. Ihr Sean. Der Mann, der sie nun schon zweimal aufgesucht hatte ... und sogar ein Flugticket für sie mitgebracht hatte. Sie griff nach ihrer Tasche, um nachzusehen, ob der Umschlag vielleicht plötzlich verschwunden war. Yvonne, die blind war für alles außer ihrer eigenen freudigen Erregung, plauderte munter weiter über ihre Biedermeiervitrine. Sie war lange auf der Suche nach einem dieser deutschen Schränke gewesen, seit einer ihrer Kunden ihr von einer solchen Vitrine vorgeschwärmt hatte, die er in Sedona gesehen hatte.
»Sie ist in nahezu tadellosem Zustand. Sie hat nur einen kleinen Kratzer und eine defekte Schublade. Beides kann in Ordnung gebracht werden. Die Frau, die sie verkauft, ist wütend auf ihren Mann und hätte sie mir sogar für weniger gegeben, aber ich wollte keinen späteren gerichtlichen Disput über den Kaufpreis riskieren. Hast du gehört, was ich gesagt habe? Nur zweitausend für eine Biedermeiervitrine!«
Yvonne legte ihre Handtasche in die Schublade unter der Theke und eilte zu den Ladenfenstern, um eine der Jalousien zu richten.
Als ihr bewusst wurde, dass Danni immer noch nicht reagiert hatte, wandte sie sich ihr endlich zu, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Eine Sekunde später stand sie neben ihr. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Was hast du, Liebes?«
Danni öffnete den Mund, um zu antworten, doch wo sollte sie beginnen? Wie konnte sie Yvonne alles erzählen, was geschehen war? Das war unmöglich, ohne die Visionen zu erwähnen, und obwohl sie wirklich gern darüber gesprochen und Yvonne alles erzählt hätte, konnte sie sich nicht dazu überwinden. Nicht, weil sie ihr nicht vertraute ... es war etwas, das tiefer ging. Etwas, das so tief in ihr verwurzelt war wie ihr Überlebenswille.
Es gab einen Grund, warum Danni so viele Jahre von Pflegefamilien zurückgewiesen worden war. Sean hatte sie gefragt, ob sie sich nie als etwas Besonderes empfunden habe. Als sie jünger gewesen war, hatte sie gewusst, dass sie es war, aber dann auf die harte Tour gelernt, dass anders zu sein nichts Gutes bedeutete. Es bedeutete absonderlich. Verschroben. Inakzeptabel.
Sie erinnerte sich noch gut, wie es beim ersten Mal gewesen war, als sie ihrem Pflegebruder ganz beiläufig geraten hatte, in Naturwissenschaften nicht mehr zu schummeln, weil sie - im Traum, dachte sie damals - gesehen hatte, wie
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