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Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Titel: Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Quinn
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aufgefunden worden war. Nie würde Sean die grenzenlose Qual in den Wehklagen seiner Großmutter vergessen - oder wie der Inspektor durch ihn hindurchgesehen hatte, als existierte er gar nicht, als die Polizisten berichteten, was Niall getan hatte.
    Es war an diesem Tag gewesen, an dem er aufgehört hatte, sich Michael zu nennen und Sean geworden war. Damals hatte er nicht allzu gründlich darüber nachgedacht, doch heute wusste er, dass es wie ein symbolisches Abstreifen seines alten Ichs gewesen war - ein Versuch, seine schmerzliche Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein anderer Mensch zu werden - ein völlig neuer Mann, von diesem Moment an. Aber mehr als seine Identität zu wechseln, brachte er nicht zustande. Der bis ins Mark verletzte und traumatisierte Junge wuchs auch weiterhin in ihm.
    Und nun fühlte Sean sich hin- und hergerissen, als er Michael, sein jüngeres Ich, mit geübter Mühelosigkeit an Deck springen sah. Der Junge begann, die Leinen einzuholen und Vorbereitungen zum Ablegen zu treffen, und Sean konnte ganz deutlich die starken, bitteren Emotionen in Michael spüren. Seine mürrischen Blicke zu seinem Vater hinüber verschärften noch die Kälte dieses Morgens, und Nialls schweigende Hinnahme des Grolls seines Sohnes verdarb den wohltuenden Sprühregen aus Salz und See. Sean konnte den Schmerz und die Hoffnungslosigkeit in den Augen seines Vaters sehen, als die Guillemot den Anker lichtete.
    »Warst du schon einmal auf einem Fischerboot?«, fragte Niall ihn, als sie vom Pier ablegten.
    »Ein paarmal.«
    »Wirklich? Ich hatte gehofft, du wärst kein Stadtmensch. Mutter konnte mir nicht viel über dich sagen, außer dass du kommen würdest.«
    Sean hatte sich schon gefragt, was Nana über Danni und ihn erzählt haben mochte. Wie es schien, so wenig wie nur möglich. »Ich habe einmal auf einem Boot gearbeitet, das von Cobh aus in See stach«, log Sean.
    »Von Cobh? Na wunderbar! Dann brauche ich dir ja nicht die Hand zu halten. Ich habe heute nämlich eine feine Stelle für uns im Sinn. Wir fahren um die Insel herum in Richtung Norden und überraschen die Fische.«
    Nialls Lächeln erreichte seine Augen nicht, und dennoch verwandelte es sein Gesicht und ließ ihn Jahre jünger aussehen. Sean wurde die Brust schmerzhaft eng, als er es bemerkte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der Nialls Lächeln die Sonne war, mit der sich Sean und sein Bruder jeden Tag erhoben. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr der Verlust von alldem sein Leben überschattet hatte.
    »Hast du es in letzter Zeit mal in den westlichen Buchten versucht?«, fragte er wie nebenbei und ohne seinen Vater anzusehen.
    »Nicht, dass ich wüsste. Vor etwas über einem Jahr haben die anderen Fischer schlimmen Raubbau dort getrieben. Ich hatte sie gewarnt, aber die Trottel hören ja nicht. Sie finden ein fischreiches Gewässer und machen sich darüber her, bis sie den letzten verdammten Fisch herausgeholt haben. Sie sind nicht einfallsreich genug, um sich woanders umzusehen und den armen Viechern eine Chance zur Wiedervermehrung zu geben. Aber warum fragst du?«
    »Aus reiner Neugier«, antwortete Sean.
    »Nicht, weil du so ein Gefühl hast?«
    Sean zögerte, als er sich erinnerte, wie oft sein Vater ihm früher die gleiche Frage gestellt hatte. Niall spürte den Fisch und folgte seinem Instinkt, wohin ihn der auch führte. Als er jünger gewesen war, hatte auch Sean ein Gefühl dafür entwickelt. Damals hatte er die Bewegung der Fische unter den aufgewühlten Wellen spüren können, unter dieser glitzernden Kraft, die nach ihm gerufen hatte. Seit dem Verlust seiner Mutter und seines jüngeren Bruders hatte Sean jedoch aufgehört, auf dieses Gefühl zu hören, und es nie wieder mit seinem Vater geteilt.
    »Schon möglich, dass es ein Gefühl ist«, erwiderte Sean jetzt. »Könnte ja sein, dass sie wieder in die Buchten zurückgekehrt sind.«
    Niall verengte seine Augen. »Das könnte wirklich sein. Vielleicht wäre es gut, wenn wir mal nachschauen würden.«
    Wieder erhellte ein Grinsen Nialls Gesicht, als er den Kurs veränderte und anstatt nach Norden in Richtung Westen fuhr. Lächelnd wandte sich Sean zum Gehen, hielt aber gleich wieder inne, als er Michaels Blick bemerkte und den aufgeregten Glanz in seinen Augen sah. Sein jüngeres Ich hatte natürlich auch die Wiedervermehrung des Fischbestandes in der Bucht gespürt.
    Ruhig begann Sean, die Leinen bereit zu machen und die Haken mit Ködern zu versehen. Es gab einen Trick

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