Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
als er sich neben seinem jüngeren Ich niederließ. »Und du bist ein guter Fischer, Michael.«
Der Junge warf ihm einen gereizten Blick zu. »Ich hasse Fisch. Und die See hasse ich auch.«
Sean blickte auf das glitzernde grüne Wasser hinaus und konnte nur denken, dass er es liebte. Heute. Mit den in vielen Jahren gewonnenen Einsichten und Erfahrungen, die ihm vor Augen führten, wie schön und unkompliziert das Leben auf See sein konnte. Er erinnerte sich allerdings auch an den erstickenden Zorn in seiner Brust, als er noch jung gewesen war, an das Gefühl, dass die Gewässer um die Isle of Fennore ein Gefängnis waren.
»Dein Dad hat ein gutes Boot«, versuchte Sean es erneut, obwohl er sich der Sinnlosigkeit seiner Bemühungen bewusst war. Dennoch sah er sich genötigt zu versuchen, den Lauf der Gezeiten zu verändern, die sein Leben mit sich reißen und davonspülen würden.
»Das Ding ist ein verdammtes Wrack«, widersprach Michael. »Eines Tages wird es auf dem Grund des Ozeans enden, und ich werde an der verdammten Küste stehen und klatschen.«
Sean zog fragend die Brauen hoch. »Und was wirst du tun, wenn du nicht mehr hinausfährst?«
»Was auch immer. Ich bin kein Schlappschwanz wie mein Dad. Ich kann mehr, als einen Haken zu beködern und einen Fisch hereinzuholen.«
»Was denn beispielsweise?«, beharrte Sean mit aufrichtiger Neugier. Er konnte sich nicht entsinnen, je davon geträumt zu haben, etwas anderes ... irgendetwas anderes zu sein. Bei dem Gedanken runzelte er die Stirn und fragte sich, warum oder wieso ihm das bisher nie bewusst gewesen war.
»Warum zum Teufel interessiert dich eigentlich, was ich tue?«
Sean zog die Schultern hoch. »Sorry. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass es ein Geheimnis ist.«
Michael warf ihm einen misstrauischen Blick zu, bequemte sich jedoch immerhin zu einer Antwort. »Ich könnte etwas bauen. Ich kann sehr gut mit meinen Händen arbeiten.«
»So, kannst du das, ja? Und was würdest du dann bauen?«
»Eine Burg vielleicht«, erwiderte Michael mit gesenktem Blick.
»Ach, gleich eine Burg? In der du der König wärst?«
Der Junge verengte irritiert die Augen. »Ich meinte, sie wiederherzustellen und so zu machen, wie sie war.«
»Du meinst, sie wiederaufzubauen? Zu restaurieren?«
»Eines Tages möchte ich die da wiederaufbauen. Die Ruine dort.«
Sean drehte sich um und blickte zu dem Burgwall hinüber, der in der Ferne aufragte wie eine Illusion ... und düstere Erinnerung. Zu den Ruinen, die in einem Trümmerhaufen aus Dunkelheit und Licht ganz oben auf den Klippen hockten.
»Mum«, begann Michael und unterbrach sich, um tief Luft zu holen. »Mum sprach oft darüber, wie es ... früher war.«
Sean wandte sich seinem jüngeren Ich wieder zu, weil sowohl der Ton als auch die Worte des Jungen ihn in Unruhe versetzten. »Früher?«
Michael nickte, und Sean ertappte sich dabei, wie er einen Moment in seine eigenen Augen starrte, wie er in den Brunnen seiner eigenen Hoffnungen und Träume stürzte und sich plötzlich wieder an so viel erinnerte ... Seine Mutter hatte oft von der Burg gesprochen, sie in mitreißendem Ton in den schönsten Farben dargestellt. In Seans jungen Jahren hatten ihre Worte ihn durch das Torhaus, über den Burghof, in den großen Rittersaal und auf die Wehrgänge geführt. Sie hatte so viele Details gekannt, von den Talgkerzen bis hin zu den verrauchten Wandbehängen und den fetttriefenden Spießbraten, die über den prasselnden Feuern garten. Sie hatte geredet, als wäre sie dort gewesen, als wäre sie über die Zugbrücke gegangen und jeden Morgen von den Geräuschen und dem geschäftigen Leben in der Burg erwacht.
»Wo ist deine Mum?«, fragte Sean wie nebenbei, weil er sehr wohl wusste, auf was für dünnes Eis er sich begab. Diese Frage zu stellen war, wie den Schorf von einer eiternden Wunde abzuschälen. Aber er musste hören, was Michael sagen würde. Musste die Erinnerung daran zurückgewinnen, warum er so überzeugt gewesen war, dass die Polizei sich irrte und sein Vater die Tode hätte verhindern können, wenn er es gewollt hätte.
»Sie ist tot«, antwortete Michael mit einem bösen Blick auf Niall.
»Das tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Er bedauert es ja auch nicht - es sei denn, dass Fia MacGrath zu vögeln seine Art zu trauern ist.«
Sean versuchte, nicht zu reagieren, doch er konnte es einfach nicht verhindern. Während er in sein eigenes, jüngeres Gesicht blickte, spürte er den immer heftiger
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