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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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befürchten«, sagte Lock leichthin
mit einem kleinen Abwinken seiner Hand. Er war nicht sicher, ob das den richtigen Eindruck von Unbekümmertheit vermittelte. Er war sich Keslers nicht sicher; oder genauer gesagt, er war nicht sicher, welchen Auftrag Kesler hatte.
    »Ich weiß, Richard. Okay, ich verstehe. Herrgott.« Kesler schaute auf seine Notizen, wobei er die Stirn in seine Hand stützte, und richtete seinen Blick dann langsam zurück auf Lock. »Lassen Sie mich Ihnen versichern: Ich bin nicht hier, um eine Betriebsprüfung zu machen. Ich bin nicht hier, um die Qualität Ihrer Arbeit zu begutachten und ihm zu empfehlen, sich einen neuen Mann zu suchen, der die Löcher stopft. Sie hatten eine große Aufgabe für Malin zu erfüllen, aber Sie sind nicht der Boss, und es liegt nicht in Ihrer Entscheidung, was Sie mir erzählen. Das wurde bereits entschieden.«
    Also war er nicht länger der Klient. Malin und Kesler redeten direkt miteinander. Das wusste er zwar bereits seit dem letzten Treffen in Théoule, aber er hatte dennoch erwartet, eine wichtigere Rolle zu spielen.
    Es gab einmal eine Zeit, dachte Lock, in der er nicht so eingeengt war und seine erste Reaktion nicht von Angst gesteuert gewesen wäre. Er fragte sich, was sein altes Ich jetzt tun würde. Kesler herunterputzen und gehen? Neue Anwälte verpflichten? Sein altes Ich hätte Alternativen gehabt. Doch nun hatte er ebenso viel Angst vor Malin wie vor dem Gesetz, Kesler wusste das, und nicht mit Kesler zu kooperieren, hätte bedeutet, den Zorn beider auf sich zu ziehen.
    Er lehnte sich vor und nahm sich noch einen Keks, weiter bemüht, Zuversicht auszustrahlen.
    »In Ordnung. Aber Sie wissen, wie sensibel die ganze Sache ist.«
    »Das weiß ich.«

    Lock, immer noch zögernd, nickte in Richtung des leeren Stuhls, auf dem Griffin gesessen hatte: »Vertrauen Sie ihm?«
    »Absolut. Er arbeitet seit fünf Jahren für mich.«
    »Warum habe ich ihn noch nie gesehen?«
    »Weil es bisher noch keine Strafverteidigungssache war. Was es jetzt ist.«
    »Es ist ein Schiedsverfahren, um Gottes Willen. Ein Schiedsverfahren! Wir haben ein Dutzend von diesen Dingern durchgezogen oder mit Vergleichen beendet.« Lock wurde nun ein wenig lauter und sarkastischer, er fing an zu gestikulieren.
    »Hier handelt es sich um etwas anderes, Richard. Weil es weitere Kreise ziehen kann. Weil man Ihnen vorwirft, ein Krimineller zu sein. Selbst wenn Tourna nicht in der Scheiße rührt – was er aber tun wird –, wenn dieses Tribunal Sie für einen Geldwäscher hält oder das auch nur andeutet, müssen Sie davon ausgehen, dass die Schweizer sich draufstürzen, die Amerikaner und Gott weiß wer sonst noch alles.«
    Die Schweizer. Die Amerikaner. Die namenlosen Anderen. Mit unangreifbarer Autorität, unermüdlich, rechtschaffen, die die Bösen mit Stumpf und Stiel ausreißen und ins Gefängnis werfen wollen. Doch wenn Lock unterging, dann ging auch Malin unter, und deshalb würde Malin das nicht zulassen. Aus diesem Grund war er sicher. Das hatte eine gewisse Logik. Für einen kurzen Augenblick begrüßte er sogar den Gedanken, die Kontrolle über diesen ganzen Mist an Kesler abzugeben.

    Im Laufe der nächsten sechs Tage versuchte Lock, Kesler alles zu erzählen. An sechs Tagen und fünf Abenden mit Kesler, Griffin und dem Junior beschrieb er ein Berufsleben voller
routinemäßiger illegaler Transaktionen. Fast eine ganze Woche im Büro der Bryson-Kanzlei. Gelangweilt, aber dennoch nervös bestand er darauf, gegenüber dem großen Fenster zu sitzen, das nach Osten auf die Liverpool Street schaute, damit er während des Redens sehen konnte, wie London in Richtung Osten immer niedriger und leerer wurde, bis es schließlich verblasste und man die dahinterliegende Landschaft erahnte. Draußen war es offensichtlich heiß, doch in ihrem Konferenzraum lag die Temperatur konstant knapp über kalt. Wenigstens nutzten sie einen ziemlich großen Raum, wie Lock feststellte – er war vielleicht kein Klient mehr, vielleicht war er sogar ein Krimineller, aber zumindest war sein Boss wichtig genug, um beeindruckende Honorare auflaufen zu lassen.
    Lock hatte keinen Zugriff auf seine Akten, aber das war kaum von Bedeutung, weil er ohnehin alles auswendig wusste. Er erklärte Kesler, dass er 1993 angefangen hatte, für Malin zu arbeiten, als dieser der Verkehrsabteilung im Ministerium für Industrie und Energie vorstand. Er hatte Lock gesagt, er wolle ein paar Chancen auf dem Privatsektor nutzen und

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