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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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abwechselnd Davids Gesicht und die nackten Füße des Toten vor mir sah. Allmählich gewann offenbar der Schlaf die Oberhand, denn ich kam erst wieder zu mir, als die Kirchenglocken erneut läuteten. Als ich die Augen aufschlug, sah ich die weiße Schar der Mönche aus der Kirche kommen. Ich stand so schnell auf, dass mir ein beißender Schmerz durchs Kreuz fuhr. Die Erde war wohl doch noch zu kühl gewesen.
    Entweder hatte Bruder Gianni mich nicht bemerkt, oder die Mönche durften nach der Vesper nicht sprechen. Ich holte ihn jedoch ein, bevor er durch das Tor zum Kloster trat. Als ich ihn an der Kutte festhielt, sahen uns die anderen Mönche mit kaum verhohlener Neugier an.
    «Bruder Gianni, unser Gespräch wurde unterbrochen!»
    Gianni drehte sich um. Der Ärger in seinen Augen war unübersehbar.
    «Nein, Schwester Hilja, es ist alles gesagt. Du kannst hier nichts mehr tun. Geh zurück nach Finnland, das ist das Beste. Das würde auch David wollen.»
    «Woher weißt du das?»
    «Ich weiß, dass er dein Bestes im Sinn hatte.» Sein Blick wurde milder, als er segnend die Arme hob. «Geh in Frieden, Hilja. Kehre in deine Heimat zurück. Dort bist du jetzt am besten aufgehoben. Glaub mir.» Er schlug vor meinem Gesicht das Kreuz. Dann verschwand er durch das Tor, hinter der Mauer, die die Klosterinsassen von den weltlichen Menschen trennte. Die Steinmauer war nur einen Meter hoch und wirkte dennoch unüberwindlich.
    Als ich auf dem Weg zum Parkplatz an der Kirche vorbeikam, sah ich, dass die Tür offen stand. Ich ging hinein. Jetzt war es in der Kirche vollkommen still, nur meine Schritte hallten laut. Ich holte Kleingeld aus der Tasche, nahm eine Kerze und entzündete sie. Als ich sie in den Halter vor einem Heiligenbild stellte, senkte ich den Kopf. «Mach, dass David lebt.» An wen richtete ich diese Bitte? Vielleicht an den Gott, an den David glaubte. Ich machte mich auf die Suche nach dem Fresko, das Bruder Gianni erwähnt hatte. Es war auf eine der Säulen gemalt. Daniel hatte eine prächtige Nase, und der Löwe wirkte nicht gerade furchterregend. Der Löwe der Gerechtigkeit – wie kam ich darauf? Nach einigem Überlegen fiel mir ein, dass Hauptmeister Teppo Laitio einmal mit diesen Worten einen Brief an mich unterschrieben hatte.
    Ich zuckte zusammen, als ich eine Berührung an der Kniekehle spürte. Es war wohl die größte Katze, die ich je gesehen hatte, grau gestreift, langbeinig und so feist, dass sie an die zehn Kilo wiegen musste. Ich versuchte sie hochzuheben, doch sie entwischte mir und lief weiter in die Kirche hinein. Da verdunkelte sich plötzlich der Lichtstrahl, der durch den Türspalt fiel, und als ich mich umdrehte, sah ich den unfreundlichen Mönch an der Tür stehen. Er überschüttete mich mit schnellen, leisen Worten, seine Stimme erinnerte an das Fauchen einer Katze. Ich verstand die Worte nicht, doch die Botschaft war eindeutig. Ich sollte die Kirche schleunigst verlassen, sonst … In meiner ostfinnischen Heimat pflegte man die Leute mit der Drohung einzuschüchtern, Gott werde einen heißen Stein auf sie schleudern. Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Mönch genau das auf Italienisch gesagt hätte.
    Ich hielt es für ratsam, zu gehorchen. Die Parkuhr war längst abgelaufen, doch der Geist des Klosters hatte mich vor einem Strafzettel beschützt. Ich fuhr in Richtung Montalcino und entdeckte kurz vor dem Dorf Hinweisschilder, die Bed-and-Breakfast-Unterkünfte in Val d’Orcia anpriesen. Gleich in der ersten bekam ich ein Zimmer. Im Haus gab es auch ein Restaurant, wo ich eine Pizza Margherita aß und einen halben Liter Brunello trank. Anschließend schaffte ich es sogar noch, die Flugverbindungen von Florenz nach Helsinki nachzusehen. Ich hatte Glück: Für den Flug über Wien nach Helsinki gab es noch freie Plätze. Allerdings würde ich früh aufstehen müssen, um die Maschine zu erreichen, aber je schneller ich Italien verließ, desto besser. Hier gab es nichts mehr für mich zu tun.
     
    Als ich um fünf Uhr früh aufwachte, begriff ich, dass ich eine Menge vergessen hatte. Ich hatte nicht nachgesehen, was der Briefumschlag enthielt, den David in der verschlossenen Schublade versteckt hatte. Auch die Telefonnummern von Hund, Kass und Cavallo hatte ich nicht überprüft. War es zu riskant, den Umschlag im Koffer zu lassen? Ein Koffer konnte verlorengehen, und in meinem Fall war das Risiko größer, weil ich umsteigen musste. Schließlich packte ich das Kaleidoskop und den

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