Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Umschlag in den Rucksack, den ich als Handgepäck mitnehmen wollte, ließ den Umschlag allerdings ungeöffnet. Zu Hause … Oder wo immer ich landen würde. Ein Teil meiner Sachen lag in Helsinki in der Untamontie bei der alten Frau Voutilainen, einen Teil hatte ich nach Hevonpersiinsaari gebracht, bevor ich nach Italien geflogen war. Frau Voutilainen hatte die Ansichtskarte, die ich ihr aus Roccastrada geschickt hatte, wahrscheinlich noch gar nicht bekommen, rechnete jedenfalls noch nicht mit meiner Rückkehr. Außerdem konnte ich nicht für immer und ewig bei ihr unterkriechen.
Unterwegs hielt ich an einer Tankstelle, neben der zwei Telefonzellen standen. Als ich eine Telefonkarte verlangte, sah der etwa zwanzigjährige Verkäufer mich mitleidig an: wieder so ein handyloses Fossil aus dem vorigen Jahrhundert.
Ich rief zuerst bei Hund an, hörte aber nur eine Durchsage auf Italienisch. Ich probierte es noch einmal, um herauszufinden, ob der Name des Teilnehmers genannt wurde, doch soweit ich es verstand, war das nicht der Fall.
Cavallo dagegen meldete sich.
«Pronto!»
, kreischte eine Frau. «Carlo,
dove sei? Con una donna
–»
Ich unterbrach den Redeschwall und fragte die Frau, ob sie Englisch sprach. Sie bejahte, redete aber auf Italienisch weiter. Sie wollte wissen, wer ich war, warum ich Carlos Handy anrief und wo Carlo steckte.
Ich bat die Frau, Englisch zu sprechen. Daraufhin fragte sie, ob ich Carlos amerikanische Geliebte sei. Allmählich reimte ich mir zusammen, dass es sich bei Cavallo um einen gewissen Carlo handelte, den seine Frau seit zwei Tagen vermisste. Sie hatte nur sein Handy im Handschuhfach seines Wagens gefunden.
«Wohin ist Carlo ohne sein Auto? Haben Sie ihn abgeholt?»
«Nein. Haben Sie die Carabinieri über das Verschwinden Ihres Mannes informiert?», fragte ich. Ich hatte den Verdacht, dass ich wusste, wo Carlo zu finden war.
«Nein! Die würden mich nur auslachen. Die Polizei in unserem Dorf bringt sowieso nichts auf die Beine, da müsste ich schon nach Florenz fahren!»
«Wo wohnen Sie?»
«In Lago di Scanno. Als ob Sie das nicht wüssten!»
«Ich bin Ihrem Mann noch nie begegnet, Frau …»
«Dolfini.»
«Frau Dolfini. Hat … Sind die Beine Ihres Mannes unterschiedlich lang? Verwendet er Einlagen?»
«Sie wollen ihm nie begegnet sein und wissen das? Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie von Carlo und mir?»
Ich brachte es nicht über mich, Frau Dolfini am Telefon zu erzählen, dass ihr Mann ermordet worden war. Zumindest hätte ich vorher wissen wollen, ob ihr jemand Beistand leistete. Und warum hätte sie mir überhaupt glauben sollen? Also verhielt ich mich wie ein Feigling und legte auf. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Gegend Italiens Lago di Scanno lag, wusste nur, dass es in den norditalienischen Bergen große Seen gab.
Ich beschloss weiterzufahren. Der Anruf bei Kass, der eine finnische Nummer hatte, konnte warten, bis ich wieder in Finnland war.
Am Flughafen in Florenz gab ich meinen Wagen ab und musste mich mit der Mietwagenfirma herumstreiten, weil ich ihn zwei Wochen früher zurückbrachte als vereinbart. In letzter Minute checkte ich ein, gab meinen Koffer ab und lief zur Sicherheitskontrolle. Erst dort fiel mir wieder ein, dass in meinem Rucksack das Kaleidoskop lag, das alles Mögliche enthalten konnte. Hinter der Kontrollpforte stand ein Drogenspürhund. Er wirkte völlig desinteressiert, aber ich hatte oft genug gesehen, wie aufmerksam seinesgleichen wurden, wenn sie Witterung aufnahmen. Ich bemühte mich, harmlos dreinzublicken, schließlich war ich eine normale Touristin, die von ihrem Urlaub in der Toskana zurückkehrte. Wenn der Beamte mir nur nicht auf den Hals schaute, wo der Puls doppelt so schnell schlug wie normal.
Ich kam unbehelligt durch die Kontrolle. Die Anzeige am Gate informierte darüber, dass die Maschine eine Viertelstunde Verspätung hatte. Also hätte ich noch Gelegenheit, Toskana-Kitsch zu erstehen, beispielsweise eine Schürze, die der Unterleib von Michelangelos David-Statue zierte. Davids Eltern waren in Florenz gewesen, als Frau Stahl ihr erstes Kind erwartete, und David war nach Michelangelos Skulptur benannt worden. Nach Ansicht der Stahls war das Werk keineswegs erotisch, sondern berichtete von dem verzweifelten Mut des biblischen David gegenüber einem übermächtigen Feind. Davids Vater hatte Estland mit David und die Sowjetunion mit Goliath gleichgesetzt, dem man die Stirn bieten musste, selbst wenn es einen
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