Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Salmisaari. Ein großer IT -Konzern hatte eine kleine finnische Firma aufgekauft und gleich darauf deren gesamte Tätigkeit nach Indien und Taiwan ausgelagert. Die Räume mussten gründlich renoviert werden, doch sie lagen günstig, nicht weit von der Metrostation und den Bushaltestellen in Ruoholahti.
Von Laitio kam eine Ansichtskarte aus Italien. Sie zeigte einen von hohen Bergen umgebenen See, den Lago di Scanno. Der Text klang unfreundlich: «Der Wein ist gut und das Essen auch ganz akzeptabel, aber man darf nirgendwo rauchen. Angeblich ist auch Frau Dolfini nach Amerika gereist. Die Hiesigen sind mit allen Wassern gewaschen, die geben nichts preis. T. Laitio». Wahrscheinlich ärgerte er sich schwarz, weil er meinen Irrwegen gefolgt war.
Monikas Vetter teilte ihr mit, er werde bis zum Spätherbst in Indien bleiben, um die Wohnungsfrage brauchten wir uns also vorläufig nicht weiter zu kümmern. Monika hatte mich als Assistentin eingestellt, doch in Wahrheit war ich Mädchen für alles. Onkel Jari war nicht nur ein guter Zimmermann, sondern zugleich in allen anderen Bauarbeiten bewandert gewesen, und er hatte auch mich angelernt. Ich dachte oft an ihn, als ich den Boden kachelte, die Wände strich und die Küchenmöbel einbaute. Ich war in Amerika gewesen, als er ganz allein losgerudert war, um die Fischnetze einzuholen; dabei war er in den herbstlich kalten See gefallen, hatte sich in den Netzen verfangen und war ertrunken. Als ich die Todesnachricht erhielt, war ich so geschockt gewesen, dass ich mich anfangs nicht einmal gefragt hatte, wie ein erfahrener Fischer sich so ungeschickt anstellen konnte.
Den Obduktionsbericht hatte ich erst gelesen, nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte und nach Finnland zurückgekehrt war. Als Todesursache wurden Herzstillstand und Hypothermie genannt. Die polizeilichen Ermittlungen waren nicht sehr intensiv geführt worden, denn es bestand kein Verdacht auf ein Verbrechen. Es kam eben vor, dass ein Fischer mittleren Alters ertrank. Mein Onkel war kein Trinker gewesen, aber man hatte in seinem Blut 0 , 25 Promille Alkohol nachgewiesen. Unser Nachbar, Matti Hakkarainen, hatte mir später erzählt, dass Onkel Jari ein paarmal ganz blass geworden war und über Übelkeit geklagt hatte, als sie beide bei der Waldarbeit gewesen waren. Vermutlich habe er Herzprobleme gehabt, meinte Matti. Von diesen Anfällen hatte ich nichts gewusst, denn ich hatte meinen Onkel allein gelassen und war zuerst nach Vantaa, dann sogar bis nach New York gezogen. Ich hatte es versäumt, für den Menschen zu sorgen, der mir Vater und Mutter gewesen war. Wenn ich in Finnland gewesen wäre, hätte ich Onkel Jari zum Arzt geschickt.
Diesen Fehler wollte ich kein zweites Mal begehen, daher konzentrierte ich mich ganz darauf, mich um Monika zu kümmern und ihre Restaurantpläne zu verwirklichen. Die Idee, bäuerlich-finnische und mosambikanische Küche zu kombinieren, ging ihr immer noch durch den Kopf, und ich verbrachte viele Abende damit, mich an Onkel Jaris Kochpraktiken zu erinnern.
Ende August fuhren wir gemeinsam nach Hevonpersiinsaari, denn die Nachbarsfrau, Maija Hakkarainen, konnte Monika am besten erklären, wie man karelische Piroggen und Fisch in Brotteig buk. Bisher hatte ich noch nie Besucher in meine Heimat mitgenommen. Nicht, weil ich mich für die einfachen Gebäude oder die Abgeschiedenheit geschämt hätte, sondern weil ich dadurch zu viel von mir preisgegeben hätte, nahezu meine ganze Vergangenheit. Irgendwann hatte ich davon geträumt, mit David im Rikkavesi-See zu schwimmen. David hatte allerdings gesagt, im Wasser fühle er sich nicht mehr wohl, seit er kilometerweit durch die nur zwei Grad warme Ostsee gekrault war.
Monika und ich saßen abends am überdachten Grillplatz, genossen die hellen, warmen Nächte, schlugen nach Mücken und garten Bratrüben und Kohlrübenwürfel in der Glut. Monika hatte beschlossen, in ihrem Restaurant einen gemauerten Backofen nach alter Art bauen zu lassen, in dem sich die traditionellen Gerichte leicht zubereiten ließen. Sie verstand sich blendend mit Maija Hakkarainen, die anfangs vor der «Schwedin» zurückgescheut war und sich verzweifelt bemüht hatte, ihren Dialekt zu unterdrücken. Ich half Maijas Mann Matti, den Zaun um die Viehweide zu reparieren, durch den immer wieder irgendein wildes Tier schlüpfte. Matti wusste nicht, ob es sich um einen Wolf oder einen Luchs handelte. Die Männer von den Nachbarhöfen hatten bereits
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